Die Einführung der Synagogenbezirke im Münsterland um 1850

28.10.2022 Niklas Regenbrecht

Die Synagoge in Selm, Stadtteil Bork, eine der wenigen erhaltenen Landsynagogen in Westfalen, 2017. (Foto: Tuula Kainulainen © LWL-Medienzentrum für Westfalen).

Norbert Damberg

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte der preußische Staat gegenüber jüdischen Gemeinden noch keine einheitliche Strategie entwickelt. Dies änderte sich am 23. Juli 1847 mit dem „Gesetz über die Verhältnisse der Juden“. Es bestimmte gravierende Eingriffe in das Leben jüdischer Privatpersonen, ihre Berufsausübung, wie auch ihre gemeinschaftliche Glaubensausübung. Vor allem die im Gesetz geforderte zwangsweise Bildung von Synagogenbezirken erwies sich dabei als problematisch und stieß auf Widerstand.

Argumentativ wurde gegen die Synagogenbezirke ins Feld geführt, dass die gesetzliche Definition für „Synagoge“ und „Bethaus“ nicht nachzuvollziehen sei. Wenn die Bezeichnung Synagoge voraussetze, dass ein Rabbiner angestellt sei, treffe dies im Münsterland auf keine Gemeinde außerhalb Münsters zu, so ein Landrat.  

Der Landrabbiner Sutro gab außerdem zu bedenken, dass der Weg zur jeweiligen Zentralsynagoge gemäß der jüdischen Sabbatregeln nicht auf eine halbe Stunde Gehweg zu beschränken sei.

Das neue Gesetz entsprach weder den Erwartungen reformierter noch denjenigen traditioneller jüdischer Repräsentanten. Sie hatten gehofft, dass die jüdischen Gemeinden eine Rechtsfähigkeit als juristische Person erhielten, vergleichbar mit derjenigen der christlichen Kirchen. Die jüdischen Gemeinden hatten aber weiterhin nur den Status einer Korporation nach dem Allgemeinen Landrecht; mit allen Verpflichtungen, die ihnen dadurch aufgebürdet wurden: Sie hatten sowohl Satzungen für jede einzelne Gemeinde als auch für den Synagogenbezirk zu erstellen und sollten außerdem aus ihrem Kreis einen Vorstand und eine Repräsentantenversammlung mit bis zu neun Mitgliedern bestimmen (und dies bei einer Gemeindestärke im gesamten Bezirk von im Schnitt 35 männlichen Mitgliedern). Gemeindemitglieder konnten sich einer Wahl in die Gremien nur mit Genehmigung der Regierung in Münster entziehen. Dafür bedurfte es aber gewichtiger Gründe wie, dass man das Amt schon zuvor ausgeübt hatte oder dass man die deutsche Sprache sowohl lesend als auch schreibend nicht beherrschte, die Staatsangehörigkeit zweifelhaft war, ein Privatkonkurs bevorstand oder strafbare Handlungen in der Vergangenheit zu Verurteilungen geführt hatten.

All das wurde überdies unter Aufsicht des örtlichen christlichen Bürgermeisters durchgeführt und an den Kreis weitergegeben, der es seinerseits von der staatlichen Regierung in Münster genehmigen lassen musste. Von einer Eigenständigkeit und Gleichstellung der jüdischen Gemeinden konnte also keine Rede sein. Hinzu kam, dass die Gemeindemitglieder die ihnen zugewiesene Synagogengemeinde nicht verlassen durften – auch dies war gesetzlich geregelt.

Innenansicht der Synagoge in Selm, 2017. (Foto: Tuula Kainulainen © LWL-Medienzentrum für Westfalen).

An den Wünschen der Ortsgemeinden vorbei entschied die Regierung, dass es in den Kreisen Lüdinghausen und Coesfeld nur je zwei Synagogenbezirke geben sollte. Es blieb den Gemeinden überlassen, den Ort zu bestimmen, was zu erheblichen Konflikten innerhalb der jüdischen Gemeinschaften führte.

So fürchteten die einzelnen kleineren Gemeinden für die Kosten des Hauptortes aufkommen zu müssen. Viele hatten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbstständige Strukturen mit eigenen Gebetsräumen oder jüdischen Privatlehrern aufgebaut und teilweise Kredite dafür aufgenommen. Auch die unterschiedliche sozioökonomische Struktur der einzelnen Gemeinden spielte eine nicht unerhebliche Rolle, da die Steuerleistung des Einzelnen als Maßstab für die Gemeindeumlage herangezogen werden sollte.

Letztlich bildeten sich im Kreis Coesfeld zwei Synagogenbezirke: der Hauptort Coesfeld, dem sich die Gemeinden Billerbeck, Darup, Rorup, Gescher, Darfeld und Osterwick anzuschließen hatten und Haltern mit Dülmen.

Im Kreis Lüdinghausen wurde Werne als Hauptort mit Drensteinfurt, Bockum, Walstedde und Herbern zusammengelegt. Als zweiten Hauptort wählten die Gemeinden Olfen, Seppenrade, Lüdinghausen, Bork und Selm den Standort Olfen.

Eine Konsequenz des Gesetzes von 1847 war, dass die Religionsausübung für die jüdischen Gläubigen in kleineren Orten zunehmend eingeschränkt wurde.  Eine jüdische Sozialisation fokussierte sich immer stärker auf die Hauptorte – ohne diese jedoch dauerhaft zu stärken.  

Die umfänglichen Schriftwechsel der Behörden ermöglichen zum ersten Mal im 19. Jahrhundert einen eingehenden Blick in das interne Leben der jüdischen Gemeinden: das ist wohl das einzig positive Ergebnis dieser Gesetzgebung.

Kategorie: Aus anderen Sammlungen

Schlagwort: Norbert Damberg