Dörthe Gruttmann
Während heute das Fernsehen mit seiner kaum zu überblickenden Anzahl an (weltweit) verfügbaren Sendern langsam durch Streaming-Dienste wieder verdrängt wird, war es viele Jahrzehnte (und ist es durchaus immer noch) ein wichtiger Bestandteil des Alltagslebens von Menschen – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Trotz dieser zugeschriebenen Bedeutung, wurde die Rolle des Fernsehens und seines Einflusses erst ab den 1970er Jahren wissenschaftlich untersucht, und zwar zunächst im städtischen und urbanen Raum.
Heute geht die Forschung davon aus, dass das Fernsehen (zusammen mit anderen Faktoren) eine Homogenisierung der Bevölkerung gefördert hat durch die Angleichung sozialer Hierarchien, die Auflösung religiöser und sozialer Milieus sowie die Nivellierung der Unterschiede zwischen städtischem und ländlichem Raum.
Doch wie wurde der Fernseher zum bedeutenden Bestandteil der Nachkriegskonsumgesellschaft? In welcher Form hat man ferngesehen? Wie unterscheidet sich das frühe Fernsehgucken durch das heutige? Antworten auf diese Fragen liefern Gewährsleuteberichte aus dem Archiv für Alltagskultur. Ab 1951 hatte die Volkskundliche Kommission für Westfalen über drei Jahrzehnte insgesamt 46 detaillierte Fragelisten zu bestimmten Themenkomplexen an sogenannte Gewährsleute in der ganzen Region versandt, die dann wiederum der Kommission Berichte mit Erlebnissen und Beobachtungen zurückgesandt haben, teils ergänzt durch Zeichnungen und Fotografien. Während es sonst bei den Fragelisten darum ging, das (rurale) westfälische Leben zwischen etwa 1880 und 1910 zu rekonstruieren, wurde 1965 die Frageliste 38 zum Fernsehen versandt, die erstmalig einen anderen Zeitraum berücksichtigte. Auf diese Befragung kamen 57 Antworten mit einer Berichtlänge zwischen weniger als eine Seite bis 33 Seiten zurück.