Die formlose Anrede
Als Anrede des geneigten Kartenempfängers oder vermutlich sogar eher der Kartenempfängerin, finden sich lediglich die Buchstaben „P.P.“, die Abkürzung der lateinischen Floskel „praemissis praemittendis“, was übertragen etwa „unter Weglassung des Vorauszuschickenden“ bedeutet. Dies war seit dem späten 18. Jahrhundert bis teilweise noch zum Beginn des 20. Jahrhunderts die gängige Form der allgemeinen Anrede in Anschreiben, Werbeanzeigen oder Rundschreiben. Diese zwei Buchstaben waren also bereits vor über 200 Jahren eine simple Form des geschlechtsneutralen Grußes. Heute würde man vermutlich nicht einmal mehr das lange gebräuchliche „Sehr geehrte Damen und Herren“ verwenden, sondern das gendergerechte „Sehr geehrte Empfänger*innen“.
Die Druckerei
Winzig klein ist unten auf der Karte die Druckerei angegeben, bei der sie damals gedruckt wurden: Hoffmann´sche Buchdruckerei, Nienburg, Weser.
Die Druckerei J. Hoffmann und Co. wurde 1871 von Julius Hoffmann, der auch Zeitungsverleger war, gründet. Er verstarb am 23. Februar 1895, sein Nachfolger wurde sein Sohn Hermann Hoffmann. Da die Karten in Nienburg an der Weser gedruckt wurden, ist anzunehmen, dass auch die Auftraggeberin, Frau Rienäcker, dort oder in der unmittelbaren Umgebung lebte.
Die Tätigkeiten einer Kochfrau
Die Werbebotschaft der Karte, bei der es sich daher nicht um eine normale Visitenkarte, sondern um eine sogenannte Empfehlungskarte handelt, ist eindeutig: Hierdurch gestatte ich mir, Ihnen meine Dienste als Kochfrau ergebenst anzubieten und halte mich bei vorkommenden Festlichkeiten bestens empfohlen.
Frau Rienäcker wollte also als Kochfrau bei großen Festen – wohl überwiegend im familiären Zusammenhängen – arbeiten. In Lexika des 19. und frühen 20. Jahrhunderts findet sich unter diesem Stichwort die Erläuterung, dass es sich hierbei um stunden- oder tageweise sich verdingende Köchinnen handelt, die z. B. bei Einladungen oder großen Festen, aber auch dauerhaft an Haushaltungsschulen bei der Ausbildung von Hausfrauen und Hauswirtschafterinnen sowie in Armenküchen arbeiteten.
Anders als heute war es noch nicht allgemein üblich, größere Familienfeiern z. B. in Restaurants zu begehen. Oft waren es unverheiratete Frauen, die durch das Kochen bei größeren Festen ihren Lebensunterhalt verdienten. Sie mussten zum einen gut kochen, braten und backen können, aber zum anderen auch sehr gut organisiert sein, weil sie u. a. bei größeren Gesellschaften oder Feiern wie Hochzeiten, Silberhochzeiten, Taufen, runden Geburtstagen, Kommunion oder Konfirmation auch den Einkauf der Lebensmittel zusammen mit der Dame des Hauses vorbereiteten sowie Zeit- und Ablaufpläne erstellten.
Derartige Aufgaben konnten die Hausfrauen oft nicht allein bewältigten, d. h. die engagierte Kochfrau war schon Tage vorher im Haushalt tätig, oft zusammen mit anderen Hausangestellten. Vielfach bekam sie zusätzlich zu einem vorher vereinbarten Honorar während dieser Zeit auch Kost und Logis, d. h. nahm an den Mahlzeiten teil und konnte kostenlos übernachten. In Schlesien und Preußen gab es im 19. Jahrhundert z. B. sehr viele unverheiratete Frauen, die zeitlebens als Wanderköchinnen durch die Gegend reisten.
Kochfrauen kamen immer wieder in neue Haushalte, entdeckten viel Neues, sammelten Erfahrungen und waren Meisterinnen der Improvisation. Ihr männliches Pendant war der Miet- oder Wanderkoch, der anders als ein Privatkoch ebenfalls nicht fest angestellt war, aber ein höheres Prestige genoss und besser bezahlt wurde. Der Dienst einer Kochfrau fiel vom Ansehen her vielfach auch in den Bereich nachbarschaftlicher Hilfsleistung aus Gefälligkeit, auch wenn tatsächlich ein Honorar gezahlt wurde oder die Entlohnung aus einem Trinkgeld der Gäste und der Abgabe der überschüssigen Speisen an die Familie der Köchin bestand.
Die auf der Empfehlungskarte erwähnte Frau Rienäcker war eine verheiratete Ehe- und Hausfrau, sonst hätte sie sich als Fräulein oder Witwe bezeichnet. Viele zum Beispiel zuvor in Haushaltungsschulen ausgebildete Kochfrauen waren verheiratet und durften, brauchten oder sollten daher nicht offiziell arbeiten. Trotzdem erbrachten ihre je nach Bedarf wenigen oder umfangreichen Tätigkeiten gerngesehene Nebeneinkünfte.