Sebastian Schröder
Die Kriegs- und Domänenkammer in Minden war unter anderem in Wirtschaftsangelegenheiten der Territorien Minden und Ravensberg zuständig. Ein besonderes Augenmerk sollten die landesherrlichen Beamten auf die Förderung von Handel und Gewerbe legen. In diesem Zusammenhang konnte es schon mal vorkommen, dass ihnen die Untertanen Entdeckungen oder Entwicklungen präsentierten. Einen gesetzlich geregelten Patentschutz gab es seinerzeit jedoch noch nicht. Der Herrscher konnte lediglich Privilegien gewähren, damit niemand anderes sich die Entdeckung zu eigen machte. Gefragt waren freilich vor allem die ausgelobten Prämien.
So wandte sich etwa der Mindener Tabakfabrikant Schaper im Mai 1805 an die Kammer. Gut ein Jahr weile er nun schon in der Stadt. Sein großes Interesse galt der Weser, die den Ort querte. Schaper beobachtete nicht nur die natürlichen Veränderungen des Flusses, sondern auch, dass die Schiffe stromaufwärts nicht fahren konnten. Sie wurden mithilfe von Pferden, die man auf sogenannten Treidelpfaden am Ufer entlang führte, an Seilen stromaufwärts gezogen. Diese Pferdelinienzüge sorgten allerdings für zahlreiche Proteste. Wer Ländereien an der Weser besaß, beschwerte sich beispielsweise darüber, dass die Huftiere die Feldfrüchte zerstörten. Schiffer klagten über unzuverlässige Fuhrleute und die Linienzieher über eine ungerechte Behandlung. Schaper sah aber einen Ausweg für die Misere: Er meinte, „daß die hiesigen Schiffer bey weiten wohlfeiler fahren können, wenn die Schiffe vermöge einer Maschiene, die aus Rädern bestehet, getrieben werden“. Der Tabakfabrikant versprach, dass die „Maschine hier mit Nutzen angewendet werden kann, dafür bürgen meine langjährigen Reisen und Erfahrungen; und ich versichere als ein rechtschaffener Mann, daß diese Erfindung nicht abenteuerlich, sondern würklich von Nutzen ist.“ Schaper bot den Kriegs- und Domänenräten an, das Weserbereisungsschiff, mit dem die landesherrlichen Beamten Deiche, Häfen und Schlachten kontrollierten, entsprechend auszurüsten – bestimmt würden sich einige Finanziers finden. Zugleich beantragte Schaper einen Zuschuss aus den königlichen Kassen in Höhe von 50 bis 70 Reichstalern. Erweise sich die Entwicklung als erfolgreich, verlange er „ein angemeßenes Douceur“, also eine finanzielle Anerkennung.
Die Kriegs- und Domänenkammer beauftragte Landbaumeister Funk, ein Gutachten anzufertigen. Darin verglich Funk die Erfindung Schapers mit der Funktionsweise einer Schiffsmühle. Allerdings sollten im Gegensatz zu den schwimmenden Mahlanlagen am Schaperschen Schiff an beiden Seiten Wasserräder angebracht werden. Ein ausgeklügelter Mechanismus würde die Kraft des Wassers auf weitere Antriebsschaufeln übersetzen, um dem Schiff den nötigen Vortrieb zu verschaffen. Auf diese Art und Weise sei es sogar möglich, gegen den Strom zu fahren – so die Theorie. Allerdings war der Landbaumeister skeptisch, ob der „Schapersche Effect“ tatsächlich eintrete. „Vielleicht ist meine Vorstellungs-Art, welche ich von dieser Erfindung habe, nicht gantz richtig, und vielleicht wäre es möglich, daß durch diese übrigens sinnreiche Idee etwas gutes bewürckt werden könte.“ Deshalb schlug Funk vor, dass der Tabakfabrikant ein Modell erstelle, mit dem er einen „Fischer-Kahn“ antreiben könne.
Überzeugt waren die Kriegs- und Domänenräte von dieser Vorstellung nicht. Daher teilten sie Schaper mit, dass sie keine finanzielle Unterstützung gewähren würden. Zunächst solle der findige Mindener „seine angebliche Erfindung […] vervollkomnen und deren nützliche Anwendbarkeit im Großen durch einen Modell-Versuch […] constatiren.“ Der Einspruch des Tabakfabrikanten blieb wirkungslos; die Kammer beharrte auf ihrer Stellungnahme und gab Schaper die ebenfalls eingereichte Zeichnung seiner Erfindung zurück. Deshalb bleibt unbekannt, wie sich der Tabakfabrikant seine „Maschine“ ganz genau vorstellte.
Mehr Erfolg war dagegen dem Uhrmacher Kincker oder Marten aus dem ravensbergischen Amt Limberg beschieden. Der Handwerker hatte am Jahresende 1795 „eine neue Spinmaschine“ und „einen neuen Haspel“ entwickelt. Bedenkt man die enorme Bedeutung des Leinengewerbes für die Grafschaft Ravensberg, wird schnell ersichtlich, weshalb die Mindener Räte hellhörig wurden. Umgehend befahlen sie dem Justizamtmann Heidsieck aus Lübbecke, über den Fall zu berichten. In seinem Antwortschreiben geriet der Justizamtmann geradezu ins Schwärmen. Marten sei ein „Manne, der im mechanischen Fache würcklich ein Genie, massen er das Uhrmachen ohne alle Anweisung von selbst erlernet und jezt die schönsten Haus- und Kirchenuhren verfertiget.“ Deshalb sprach auf Basis dieses Gutachtens aus Sicht der Kammerbeamten nichts dagegen, Marten eine Prämie in Höhe von neun Reichstalern und acht Groschen zu zahlen. Doch wie sah die offenbar spektakuläre Entwicklung des Uhrmachers konkret aus? Dazu erläuterte die Kriegs- und Domänenkammer dem Preußenkönig am 19. April 1796: „Diese Erfindung bestehet aus einem Spinnrad, an welchen ein Haspel in der Art angebracht, daß die Spinnereien zugleich ihr Garn haspeln kan und 1 Haspel, worauf 12 Stük zugleich gehaspelt werden können.“ Alles in allem zeigten sich die Beamten begeistert von dem Prototypen. Zwar bemängelten sie, dass sich der Rocken, das heißt die Apparatur zum Befestigen der unversponnenen Fasern, nicht verstellen lasse. „Diese Unbequemlichkeit wird jedoch durch die Zeitersparniß, welche allgemein beym Haspeln verschwendet wird, in etwas wieder ersetzet; die Haspel, worauf 12 Stück zugl[eich] abgehaspelt werden können, ist vorzüglich von der engl[ischen] Zwirn-Machine entlehnt.“ Aufgrund dieses positiven Urteils genehmigte der Monarch die Zahlung der in Aussicht gestellten Prämie. Allerdings verknüpfte er die Bewilligung mit der Auflage, „diese neue Erfindung bekannt und gemeinnützig zu machen“.
Uhrmacher Marten konnte sich also freuen: Die von ihm entwickelte Kombination aus Spinnrad und Haspel gefiel der landesherrlichen Obrigkeit. Denn sie erhoffte sich Vorteile für das Leinengewerbe. Dagegen sollte Tabakfabrikant Schaper weiter tüfteln. Ob er wirklich seine Grundidee abermals überdachte, bleibt indes unklar. Unbekannt ist ebenso, ob sich Martens Prototyp in der Praxis wirklich durchsetzen konnte. So oder so: Die Akten der Kriegs- und Domänenkammer zeugen von wahrem Erfindergeist in Minden und Ravensberg.
Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 1727: Erfindung des Tabakfabrikanten Schaper zur Erleichterung der Schifffahrt stromaufwärts, 1805; Nr. 1872: Prämierung des Uhrmachers Marten im Amte Limberg für Erfindung zweier neuer Spinnmaschinen, 1795–1796.
Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:
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