„Erinnerungen an den Feldzug im Westen“
Fotoalben aus dem Ersten Weltkrieg im Archiv für Alltagskultur, Teil 1
Kathrin Schulte
Zwar wird der Erste Weltkrieg als „erster Medienkrieg“ bezeichnet; der erste Krieg, der fotografisch festgehalten wurde, ist er allerdings nicht. Bereits im Krimkrieg (1854 – 56), im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861 – 65) und den Reichseinigungskriegen (1864, 1866 und 1870/71) waren Fotograf:innen Teil der Truppenverbände und fertigten Kriegsfotografien an. Technisch war die Fotografie im 19. Jahrhundert allerdings nur bedingt kriegstauglich: Die Ausrüstung (Kamera, Stativ, unbelichtete Bildplatten) war sperrig, die Belichtungszeiten der Kameras erlaubten keine Aufnahmen von Bewegungen, zur Entwicklung mussten komplette Dunkelkammern transportiert werden. Auch die Bildsprache entsprach eher der Kriegsmalerei und zeigte vornehmlich ein kultiviertes, unblutiges Bild des Krieges.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war die Situation eine andere. Die Fotografie hatte sich technisch weiterentwickelt, durch die deutlich kleineren Kodak-Rollfilmkameras konnten nun auch Amateur:innen an der Front fotografieren und die Bilder mitunter bereits in Frontnähe entwickeln. Auch die Drucktechnik hatte sich weiterentwickelt, weshalb in der Presse der am Krieg beteiligten Nationen nun auch Fotos gezeigt werden konnten, die große Teile der Bevölkerung erreichten. Damit hatte die Fotografie für den Ersten Weltkrieg eine weitaus größere Bedeutung als in den vorherigen Kriegen. Vor allem wurde die Kriegsfotografie als Mittel der Propaganda eingesetzt: Die vermeintlich objektiven, die Realität abbildenden Fotos inszenierten den Krieg und die jeweiligen Soldaten als heroisch, gerecht und siegreich.
Der Austausch von Fotografien zwischen Front und Heimat fand auf unterschiedlichen Wegen statt. So waren Fotografen als Kriegsberichterstatter Teil der Truppen und fertigten Bilder für militärische Zwecke, für die Medien (Tageszeitungen, Illustrierte) und für die Privatwirtschaft (Postkartenverlage). Unter den Soldaten befanden sich aber auch (Amateur)Fotografen, die den Frontalltag dokumentierten und die Bilder als Feldpost an ihre Familien schickten. Oftmals vervielfältigten sie die Fotos für die anderen Soldaten der Truppe, die diese weiterverbreiteten.
In der in Deutschland überlieferten bildhaften Erinnerungskultur an den Ersten Weltkrieg steht der deutsche Soldat im Fokus, der an der Front als siegreiche Heldenfigur inszeniert wird. Frauen hingegen sind selten Teil dieses Bildspektrums. Ist dies doch einmal der Fall, werden sie meist als Teil der „Heimatfront“ inszeniert, der die Versorgung der Bevölkerung gewährleistet oder die Rüstungsindustrie unterstützt. Die Rolle der Frau ist klar: Sie befinden sich fernab des Kriegsgeschehens und tun an der „Heimatfront“ ihr Möglichstes, um die Truppen im Feld mit Munition, Kleidung und Nahrung zu unterstützen und gleichzeitig das alltägliche (Über-)Leben in der Heimat zu gewährleisten.
Die Perspektive des Soldaten an der Westfront findet sich auch in den meisten Fotoalben wieder, die im Archiv für Alltagskultur aufbewahrt werden. Meist enthalten sie ähnliche Fotos: Gruppenbilder von Soldaten vor ihrem Einsatz, Portraitfotografien meist des Besitzers des Albums, Fotos zerstörter (meist französischer) Städte, seltener Fotos der Soldaten in ihrer Stube oder im Unterstand, manchmal Fotos toter gegnerischer Soldaten im Schützengraben oder neben einem abgeschossenen Flugzeug. Meist wurden einige der Fotos als Feldpostkarten genutzt, auf deren Rückseite der Soldat an seine Freunde oder Familie meldete, es gehe ihm gut und kurze Eindrücke seines Alltags an der Front schilderte. Teilweise wurden im Nachhinein Daten auf den Fotos ergänzt: Die Soldaten benannt, teils mit Todesdatum versehen.
Zwei der Alben im Archiv für Alltagskultur weichen von diesem Bildprogramm ab. Sie sollen im Folgenden vorgestellt werden.