Vom Kriegsende in ein neues Leben. Erinnerungen an die Nachkriegszeit in Lemgo

18.03.2025 Niklas Regenbrecht

Ein kleiner Ausschnitt aus den Lebenserinnerungen von Monika Plessner erzählt über die Gründung der Volkshochschule Lemgo aus der Warte der aus Breslau geflüchteten Monika Plessner.

Christiane Cantauw

Zum 75jährigen Jubiläum der 1950 gegründeten Volkshochschule Lemgo erschien ein 152 Seiten umfassendes Buch, das aus autobiografischer Perspektive die Anstrengungen einer Frau zur Gründung dieser Erwachsenenbildungsstätte spiegelt. Autorin der um eine Einführung und ein Vor- und Nachwort ergänzten Autobiografie ist Monika Plessner geb. Atzert (1913–2008), Kunsthistorikerin, Übersetzerin und Autorin.

Bei der Veröffentlichung, die ihre Töchter sowie Jürgen Scheffler und Franziska Voges herausgegeben haben, handelt es sich um einen vergleichsweise kleinen Ausschnitt aus Monika Plessners Lebenserinnerungen, die sich im Besitz ihrer Töchter Katharina Günther und Dorothea Krätzschmar-Hamann befinden. Aus Anlass des Volkshochschuljubiläums haben sich Plessners Töchter zu einer Teilveröffentlichung der Lebenserinnerungen ihrer Mutter, nämlich des „lippischen Zwischenspiels“, entschieden. Diesen Titel wählte Monika Plessner für die Zeitspanne zwischen 1945 und 1951, die sie in der lippischen Kleinstadt Lemgo verbrachte.

Der Titel ist treffend, befanden sich die Protagonistin und ihre Familie in diesen Jahren doch buchstäblich in einem Zwischenraum, in dem Beheimatung, Neuanfang und Lebensplanung mit ungeahnten Problemen verknüpft waren. Monika Plessner, ihr erster Mann, Hans Tintelnot, und ihre Töchter Katharina und Dorothea gehörten zu den ersten Flüchtlingen, die 1945 aus Schlesien – hier aus der Großstadt Breslau – nach Lemgo kamen. Als Katholikin und als Geflüchtete stieß speziell Monika Tintelnot in der unzerstört gebliebenen Kleinstadt Lemgo von vielen Seiten auf Vorbehalte und Ablehnung, obwohl ihr Ehemann Hans Tintelnot aus Lemgo stammte. Da sein Vater aber eine große Abneigung gegen die katholische Schwiegertochter hegte, erfuhr das Paar von familiärer Seite her nur wenig Unterstützung.

Monika Tintelnot mit ihrer Tochter Katharina im heimischen Wohnzimmer in Breslau, 1944, Ausschnittvergrößerung. (Foto: Privatbesitz)

Der lebensgeschichtliche Bruch, den die Flucht für Monika und Hans Tintelnot darstellte, dokumentiert sich anhand einer Fotografie aus Seite 14 des Buches. Sie wurde 1944 aufgenommen und zeigt Monika Plessner (damals noch Tintelnot) mit ihren beiden Töchtern und der Haushaltshilfe in Breslau. Sie posieren in einem modern eingerichteten Wohnzimmer selbstbewusst für die Kamera. Der Geltungsanspruch des bildungsbürgerlichen Milieus ist vor allem Monika Tintelnot deutlich anzusehen. Nur wenige Monate nach Entstehen dieser Aufnahme ist die Familie gezwungen, Breslau zu verlassen und beim Schwiegervater im kleinstädtischen Lemgo Schutz zu suchen. Dementsprechend dreht sich ein Großteil der autobiografischen Schilderung von Monika Plessner um ihre Anstrengungen, in Lemgo Fuß zu fassen und sich eine Zukunft aufzubauen. Ihr gelingt der Abschluss ihres Promotionsverfahrens an der Universität Göttingen und – gegen massive Widerstände – auch der Aufbau der Volkshochschule Lemgo.

Die Autobiografie von Monika Plessner ist wie die meisten Autobiografien als Erfolgsgeschichte geschrieben: Trotz teils erbitterter Widerstände erreicht die geflüchtete großstädtische Intellektuelle, deren Mann sie und die Kinder um 1946 verlassen hat, die Institutionalisierung einer Erwachsenenbildungsstätte, die bis heute Bestand hat. Monika Plessner beschreibt aber auch, welchen Preis sie für ihren Erfolg bezahlt hat: Als „letzte Hexe vom Lemgo“ geschmäht und als „Hergelaufene“ und „Maruschka aus der Wasserpolakei“ ausgegrenzt, verließ sie Lemgo 1951, nicht ohne zuvor außer der Volkshochschule noch das Lippische Volksbildungswerk aus der Taufe gehoben zu haben, das sie als Impulsgeber zur Erweiterung der provinziellen Horizonte begriff. 1952, mit der Heirat mit dem Soziologieprofessor Helmuth Plessner (1892–1985), begann für Monika Plessner ein neuer Lebensabschnitt jenseits der kleinstädtischen Enge Lemgos.

Inhaltlich führen die Lebenserinnerungen Plessners tief hinein in eine kleinstädtische Nachkriegsgesellschaft mit all ihren Verwerfungen. Bereichernd ist die Publikation jedoch nicht nur wegen dieser vertieften Einblicke in ein Flüchtlingsschicksal in einer Kleinstadt, sondern auch wegen der akribischen Arbeit der Herausgeber:innen, die in zahlreichen Fußnoten fehlende Informationen ergänzt haben. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang speziell auch das Nachwort von Jürgen Scheffler, das hilfreich ist, um auch die Vorgeschichte Plessners einzuordnen. Sie entstammte nämlich nicht nur einem streng katholischen, bildungsbürgerlichen Elternhaus, sondern war in Breslau auch Teil eines völkisch geprägten akademischen Milieus. Dieser Teil ihrer Biografie ist jedoch, ebenso wie ihr weiterer Lebenslauf, in dem sie sich verschiedentlich auch mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt, Teil der unveröffentlichten Lebenserinnerungen.