Peter Herschlein
Ursprünglich als Zahlungsmittel in Krisenzeiten gedacht, entwickelten sich Notgeldscheine zwischen 1919 und 1922 immer mehr zu Sammelobjekten, womit die Funktion als Zahlungsmittel in den Hintergrund rückte. Die immer ausgefeilter gestalteten Scheine zeigten häufig regionale Motive wie Gebäude oder charakteristische Landschaftsbestandteile. Des Weiteren finden sich Abbildungen von Persönlichkeiten oder Darstellungen aus der Sagenwelt. Diese Motive geben dabei Einiges über die Motive der Herausgeber der Scheine preis. Zur Entwicklung der Notgeldproduktion wurde bereits ein Beitrag auf diesem Blog veröffentlicht, der hier nochmal nachgelesen werden kann.
In diesen Zeitraum fallen auch die fünf Erinnerungsscheine (fälschlicherweise auch Notgeldscheine genannt) aus Westerkappeln, die 1922 anlässlich des zweiten Heimattages vom „Verein für Heimatkunde Westerkappeln“ herausgegeben wurden. Gestalterisch lehnen sich die Erinnerungsscheine durchaus an die Notgeldscheine an. Sie waren jedoch nicht als Zahlungsmittel gedacht, sondern dienten beispielsweise der Bewerbung der Vereinsarbeit und der Verankerung bestimmter Erinnerungsorte im kulturellen Gedächtnis.
Der Westerkappelner Heimatverein geht auf eine Gruppe mit dem Namen „Die Hüter der Sloopsteine“ zurück, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, altertumskundliche Überlieferungen und Naturdenkmäler zu erhalten. Der Name der Gruppierung verweist auf das jungsteinzeitliche Megalithgrab „Sloopsteine“ auf dem Gabelin. Mitglied der Gruppe war auch Friedrich Rohlmann (1889-1943, Lehrer aus Westerkappeln-Velpe), der den Vorsitz des 1919 neu gegründeten „Verein für Heimatkunde Westercappeln“ (heute: Kultur- und Heimatverein Westerkappeln e. V.) übernahm. Friedrich Rohlmann engagierte sich auch über das Gemeindegebiet hinaus als Kreisheimatpfleger im Bereich der Heimatforschung.
Die Gründung des „Verein für Heimatkunde Westercappeln“ fällt damit in einen Zeitraum ab den 1870er Jahren, in dem sich auf lokaler Ebene Heimatvereine als Vereinigungen interessierter Laien bildeten. Diese Vereine gründeten sich vor allem auf dem Land, wo die Einwohnerzahl für die Gründung spezialisierter Wissenschaftsvereine nicht ausreichend war. Das Tätigkeitsfeld der Gruppierungen war breit gefächert, so machten sie es sich zur Aufgabe, die materielle Kultur,die mündliche Überlieferunge oder Informationen über Bräuche und Flurnamen zusammenzutragen. Zudem beschäftigte man sich mit der Verschönerung des Ortsbildes sowie der Erhaltung von Bau- und Bodendenkmälern. Die Entstehung dieser Heimat(schutz)bewegung liegt in einer Zeit, die von einer fortschreitenden Industrialisierung und Technisierung geprägt war. Wie auch der Name „Die Hüter der Sloopsteine“ zum Ausdruck bringt, setzte man sich in Westerkappeln und anderswo für den Schutz des „Bedrohten“ ein. Als bedroht wurden die „traditionelle“ Bauweise, die Landschaft und die Denkmäler, aber auch die Volkskunst, die regionalsprachlichen Dialekte und das sogenannte Brauchtum angesehen.
In seiner Anfangszeit veranstaltete der Westerkappelner Verein vor allem Wanderungen, Besichtigungen von Naturdenkmälern und Unterhaltungsabende. Um die Ziele und Betätigungsfelder der Heimatkunde auch in breiten Kreisen der Bevölkerung bekanntzumachen, veranstalte der „Verein für Heimatkunde Westercappeln“ 1921 den ersten Westerkappelner Heimattag. Im folgenden Jahr wurde die Veranstaltung, unter anderem mit einem Festumzug, Ausstellungen über die Leinenindustrie, die heimische Vogelwelt sowie die Imkerei, Wanderungen und vielen weiteren Darbietungen, wiederholt. In einem Festvortrag sprach der Westerkappelner Sanitätsrat Dr. Simon über die Aufgabe der Heimatvereine, die mit der „Erforschung unserer Heimat in ihren natürlichen Bedingungen und ihrer geschichtlichen Entwicklung“, „die Erweckung und Förderung der Liebe zur Heimat und zu unserem Vaterlande“ als Ziel verfolge.
Zur Erinnerung an den zweiten Heimattag gab der Verein fünf Erinnerungsscheine in verschiedenen Wertstufen heraus. Die auf den Scheinen abgedruckte Signatur „HH“ lässt sich dem Maler und Kunsthandwerker Hermann Heinrich Hischemöller (1905 - 1968, aus Westerkappeln) zuordnen. Im Alter von nur 17 Jahren gestaltete er damals die Scheine für den Verein für Heimatkunde. Über diese Arbeit hinaus stellte er sein Können auch für weitere grafische Arbeiten im Dienst der Heimatkunde zur Verfügung. So gestaltete er unter anderem auch Titelblätter für die von Friedrich Rohlmann erstellten Heimatbücher.
Die Motive der in den Wertstufen 50 Pfennig; 1 Mark (2x); 1,75 Mark und 2 Mark herausgegebenen Erinnerungsscheine lassen sich in zwei Kategorien teilen. Zum einem finden sich lokale Denkmäler und zum anderen Motive, die im Zusammenhang mit der Reinhildis-Legende stehen. Zu den Denkmälern gehören die Sloopsteine und die Abbildung eines Stollen-Mundloches. Wie anfangs dargestellt, war die Gründung des „Verein für Heimatkunde Westercappeln“ eng mit den Sloopsteinen als Erinnerungsort verbunden. So hatten sich die „Hüter der Sloopsteine“ unter anderem den Erhalt des Grabes zur Aufgabe gemacht. Die Abbildung des Stollenmundloches nimmt Bezug auf den Steinkohlebergbau auf dem Schafberg. Ab den 1920er Jahren wurde dort in kleineren Pachtgruben Steinkohle gefördert. Dargestellt ist hier das Mundloch der Zeche Anneliese, in der damals bis zu 80 Personen Arbeit fanden.