Annina Hofferberth & Karolin Baumann
Im Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster, einem ehemaligen Dienstgebäude der Ordnungspolizei im Nationalsozialismus, beschäftigen sich Mitarbeitende regelmäßig bei Thementagen, Führungen, Publikationen oder Vorträgen mit den Biografien der Täter, die dort einst gearbeitet haben. Die eigenen Familiengeschichten blieben lange außen vor, obwohl uns natürlich klar war, dass es auch hier die unterschiedlichsten Verstrickungen mit dem nationalsozialistischen System gegeben hat. Seit Februar 2023 setzen sich Mitarbeitende und Ehrenamtliche daher mit den eigenen Vorfahren und deren Rollen im NS-Regime auseinander und unterstützen interessierte Bürger:innen bei ihren Recherchen. Die Erkenntnisse mündeten in Blogbeiträgen, die auf der Website des Geschichtsorts Villa ten Hompel veröffentlicht wurden. 2024 wird das von Annina Hofferberth und Karolin Baumann geleitete Projekt ausgeweitet.
Ein Ausgangspunkt des Geschichtslabors waren die MEMO-Studien, in denen das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft die in Deutschland etablierte Erinnerungskultur mit Schwerpunkt auf den Nationalsozialismus in mehreren repräsentativen Umfragen statistisch erfassten. Viele Befragte sehen die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als wichtig an, die Familiengeschichte gehört für über die Hälfte von ihnen zur deutschen Erinnerungskultur. Doch nur wenige Befragte haben sich eingehend mit der Rolle ihrer Familie im NS beschäftigt. Etwa 70 Prozent verorteten ihre Vorfahren nicht unter den NS-Täter:innen, knapp 29 Prozent der Befragten gaben sogar an, dass Familienmitglieder Verfolgten des NS-Regimes aktiv geholfen hätten – Schätzungen der EVZ zufolge trifft dies aber tatsächlich auf weit weniger als ein Prozent der Bevölkerung zu. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte könnte also einen individuellen Zugang zur NS-Zeit und dessen Vor- wie Nachgeschichte bieten und manches gerade rücken helfen, wenn es um die eigenen Eltern oder (Ur)Großeltern geht, die Täter:innen, Mitläufer:innen oder Verfolgte während der NS-Zeit waren.