Evangelisch im Münsterland – Tecklenburg

15.07.2022 Niklas Regenbrecht

Auf die Kanzel ausgerichtete reformierte Kircheneinrichtung im mittelalterlichen Gotteshaus in der Stadtkirche in Lengerich (Bildarchiv Emslandmuseum).

Andreas Eiynck

Das größte evangelische Gebiet im Münsterland bildet die alte Grafschaft Tecklenburg, das Gebiet um Tecklenburg zwischen Westerkappeln im Norden, Ladbergen im Süden und Lienen im Osten. In der Zeit um 1540 führte Graf Konrad von Tecklenburg mit der Kirchenordnung von 1543 alle seine Territorien dem lutherischen Glauben zu und seit dieser Zeit war das Gebiet durchgängig protestantisch. Konrads Nachfahre Graf Arnold trat zum reformierten Bekenntnis über und führte 1588 für alle seine Länder (Bentheim, Steinfurt, Tecklenburg u.a.) eine calvinistische Kirchenordnung ein. Seitdem zählt das Tecklenburger Land zu den reformierten Gebieten Westfalens, auch wenn dies durch die preußische Kirchenunion von 1817 unter dem Dach der Evangelischen Landeskirche von Westfalen äußerlich heute kaum noch deutlich wird.

Graf Konrad führte um 1540 die Reformation in der Grafschaft Tecklenburg ein. Grabplatte in der Stadtkirche in Tecklenburg (Foto Andreas Eiynck).

„Wenn ein Regent Gotts Fürchtig ist

So geht’s gelücklich zu jeder Frist.

Für reine Lehr, mein Unterthan,

will ich gern Lieb und Leben lan.“

So lautet die Inschrift an einem Kamin des 17. Jahrhunderts, der aus den früheren Schlossgebäuden der Tecklenburg stammt. Mit der „reinen Lehr“ ist hier nichts anderes als der Calvinismus gemeint, der nun das kirchliche Leben, aber auch den Alltag der Bevölkerung in der Grafschaft Tecklenburg bestimmte.

Spätestens mit dem Übergang zum Calvinismus waren die vielen von der Heiligenverehrung geprägten Feste und Vereinigungen sowie das damit verbundene Brauchtum hinfällig. Das betraf nicht nur Wallfahrten und Heiligenfeste, sondern auch Bruderschaften und selbst das Schützenwesen, das allerdings von späteren Landesherren wieder stärker gefördert wurde. Nur ein populärer Heiliger blieb durch die Reformation unangefochten. Es war, genau wie in den calvinistischen Niederlanden, der Heilige Nikolaus. Er war z.B. im reformierten Lienen genauso populär wie im benachbarten katholischen Münsterland.

Betont schlichter Bauernhaushausgiebel von 1815, Hof Baumhöfner in Lienen (Bildarchiv Emslandmuseum).

Großen Einfluss hatte das reformierte Bekenntnis nicht nur auf das Brauchtum, sondern auch auf die sogenannte Volkskunst oder Repräsentationskultur. Hier wirkte insbesondere das calvinistische Bilderverbot, aber auch das Gebot der äußeren Schlichtheit, etwa auf Hausbau und Möbel, Kleidung oder Schmuck. So unterscheiden sich die schlichten, silberbestickten Kirchgangshauben in der Grafschaft Tecklenburg schon auf den ersten Blick von den bunt gebänderten und goldbestickten Tellerhauben der katholischen Frauen aus dem Münsterland oder dem Raum Ibbenbüren.

Reformierte Kircheneinrichtung in Lienen (Foto Andreas Eiynck).

Bereits im 18. Jahrhundert, die Grafschaft Tecklenburg gehörte seit 1707 zum Königreich Preußen, zeichneten sich in der Region wirtschaftliche Strukturprobleme ab. Hollandgang und Hausweberei bildeten die Lebensgrundlage für die rasch wachsenden ärmeren Bevölkerungsschichten. Im 19. Jahrhundert verschärfte sich diese Situation, weil alle neuzeitlichen Verkehrswege um das Tecklenburger Bergland herumführten oder die frühere Grafschaft allenfalls tangierten. Das Textilgewerbe verlagerte sich in das Münsterland und die Bergbaustadt Ibbenbüren lag in der mehrheitlich katholischen Obergrafschaft Lingen. Das evangelische Kernland des Kreises Tecklenburg galt bald als rückständiges Armenhaus im Norden Westfalen. Der hohe Grad der Auswanderung im 19. Jahrhundert war ein Ergebnis dieser Entwicklung.

Kaiserbesuch in Tecklenburg 1907 (Bildarchiv Emslandmuseum).

Spätestens mit dem Kulturkampf und der Gründung der katholischen Zentrumspartei gingen Konfession und Politik eine Allianz ein – auf katholischer wie auf protestantischer Seite. Die evangelische Bevölkerung der Grafschaft Tecklenburg war preußisch und kaisertreu gesinnt, wählte daher nationalkonservativ und setzte sich damit von den Katholiken in den umliegenden Regionen deutlich ab. Den Höhepunkt erreichte diese Bewegung 1907, denn in diesem Jahr besuchte Kaiser Wilhelm II. als König von Preußen aus Anlass der 200jährigen Zugehörigkeit zu Preußen Tecklenburg und wurde von fast 10.000 Menschen jubelnd gefeiert. In der Zeit des Nationalsozialismus zählte das Tecklenburger Land dann zu einer der Hochburgen der NSDAP im Münsterland.

Blick auf die Stadtkirche in Tecklenburg (Foto Andreas Eiynck).

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte der Kreis Tecklenburg die Regionalmarke „Tecklenburger Land“, die über die alte Grafschaft weit hinausging. Diese Region profilierte sich im Tourismus und war gleichzeitig eine Domäne von Schützenwesen und Heimatbewegung. In der Kreisstadt Tecklenburg entstanden in den 1960er-Jahren ein Kreisheimathaus und ein Kreisheimatmuseum, die das regionale Bewusstsein fördern sollten.

Die Stadtkirche in Tecklenburg - Hauptkirche der evangelischen Grafschaft Tecklenburg, Foto um 1900 (Bildarchiv Emslandmuseum).

Dies alles konnte nicht verhindern, dass der Kreis Tecklenburg bei der Kreisreform zum 1. Januar 1975 im neu gegründeten Großkreis Steinfurt aufging, der mehrheitlich aus vormals münsterländischen und somit katholischen Gebietsteilen besteht. Aber als vor einigen Jahren das alte Autokennzeichen TE des früheren Kreises Tecklenburg wieder zugelassen wurde, entwickelte sich dieses Nummernschild rasch zu einer neuen Regionalmarke. Der feine Unterschied zwischen dem Münsterland und dem Tecklenburger Land ist hier eben noch nicht vergessen und dazu trägt auch die unterschiedliche Konfession bei.

Beim Bildersturm 'geköpfte' Heiligenfiguren am Portal der mittelalterlichen Kirche in Westerkappeln (Foto Andreas Eiynck).

Literatur:

Friedrich Hunsche und Friedrich Schmedt (Bearb.): Beiträge zur Volkskunde des Tecklenburger Landes. Tecklenburg 1974.

Dietmar Sauermann: Geschichte der Volkskultur im Kreis Steinfurt (17.-20. Jahrhundert). In: Der Kreis Steinfurt – Heimat und Arbeit. Stuttgart 1989, S. 217-228.

Heinz-Jürgen Trütken-Kirsch: Der Kirchenkreis Tecklenburg in der NS-Zeit (= Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte 10). Tecklenburg 1996.

Christof Spannhoff: Reformation im Kreis Steinfurt. Steinfurt 2017.

Alfred Wesselmann (Red.): 500 Jahre Reformation im Tecklenburger Land 1517-2017. Tecklenburg 2018.

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