Expressnachrichten per Postkarte: Knöpfe wurden 1875 ‚just in time‘ noch am gleichen Tag geliefert

25.10.2022 Niklas Regenbrecht

Postkarte an die Tuchhandlung Muermann, Minden, 1875.

Thomas Kriete

Ahnenforscher suchen stets nach persönlichen Gegenständen ihrer Vorfahren. Regelmäßig stöbert man in Internetauktionen nach Dingen der eigenen Familie, in meinem Fall nach Einträgen mit dem seltenen Geburtsnamen meiner Großmutter: Muermann. Im Dezember gab es wieder einen Treffer: Eine Postkarte von 1875, adressiert an die die 1852 gegründete Tuchhandlung „Hch. Muermann“ in Minden. Nach dem Buch „Herfords Bekleidungs- und Wäsche-Industrie“ von Günther Voß, hatte die Tuchhandlung damals eine Zweigniederlassung in Herford in der Bäckerstr. 2, dem Geburtshaus meiner Großmutter. Der Firmengründer Heinrich Muermann, geboren 1827 in Petershagen, und mein Ururgroßvater Hermann Muermann, geboren 1839 in Friedewalde, waren Halbcousins 3. Grades. Beide hatten den gleichen Ururgroßvater Moritz Christoph Muermann, der 1709 in Heimsen geboren war. Trotz dieser weit entfernten Verwandtschaft und der Entfernung zwischen Herford und Minden gab es anscheinend noch persönliche Kontakte.

Geschrieben wurde die Postkarte von F. H. Muermann, vermutlich die Abkürzung für Friedrich Heinrich. Interessant sind die Stempel und die Nachricht der Karte: Laut Poststempel wurde die Postkarte am 25. September 1875 zwischen 9 und 10 Uhr vormittags in Herford aufgegeben. Der zweite Stempel bestätigt die Ankunft am Empfängerort am selben Tag. Die Nachricht lautet wie folgt:

Senden Sie mir gefl[issentlich] direct p[er] Couvert

2 .. Silberlitze. Ich bitte dieses sofort abzusen[den] da ich bestimmt bis 4 Uhr heute Nachmittag im Be[sitz] sein muß Freundl[ichen] Gruß F H Muermann

H[erford] d[en] 25/9.75

Postkarte an die Tuchhandlung Muermann, Minden, 1875 (Textseite).

Als Erledigungsdatum ist ebenfalls der 25. September vermerkt. Da forderte also die Herforder Zweigstelle per Postkarte morgens um 9 Uhr von der Mindener Zentrale Silberlitze an, Zustellung am selben Tag bis spätestens 16 Uhr. Und zwar im Jahr 1875, also vor knapp 150 Jahren!

Das Telefon wurde in Deutschland erst in den 1880er Jahren eingeführt, die schnellste Nachrichtenübermittlung erfolgte somit per Brief oder Postkarte.

Zum Glück gab es da ab 1847 die Köln-Mindener Eisenbahn, ansonsten wäre die Forderung wohl nicht zu erfüllen gewesen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Expressversand öfters genutzt wurde. Die Silberlitze wurden vermutlich für eine Uniform benötigt, für einen Postboten, einen Bahnbediensteten oder einen Soldaten.

Von einer "Schneckenpost" konnte somit nicht mehr die Rede sein. Trotz Telefon, Internet und Auto würden wir diesen Expressversand heute nicht schneller hinbekommen. Mal ganz abgesehen von den Versandkosten, die damals nur wenige Pfennige betrugen. Auch wenn ich so zwar kein Dokument eines nahen Verwandten in den Händen halten konnte, so habe ich doch etwas über die damaligen Lebensumstände erfahren. Die Postkarte befindet sich nun im Bestand des Herforder Kommunalarchivs.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 122, 14.09.2022, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

Link: https://www.kreisheimatverein.de/wissen/hf-magazin/

Kategorie: Aus anderen Sammlungen

Schlagwort: Thomas Kriete