Fastenverordnungen für das Bistum Münster

22.02.2022 Niklas Regenbrecht

Ein Fastentuch, lat. velum quadragesimale, wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein in der vorösterlichen Fastenzeit in fast allen katholischen Kirchen Westfalens aufgehängt. Im 19. Jahrhundert wurde der Brauch vielfach aufgegeben, erlebt gegenwärtig aber eine Renaissance. (Foto: Albers, Pfarrkirche St. Dionysius Nordwalde, 1944, Alltagskulturarchiv).

Am 21. Januar 1946 erließ der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, eine Fastenverordnung, die vor Beginn der Fastenzeit am Mittwoch, dem 6. März in allen Kirchen des Bistums verlesen werden sollte. Im ersten Nachkriegswinter litt die Bevölkerung im Bistum (wie auch andernorts in Deutschland) unter Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Heizmittelknappheit. Viele Menschen waren traumatisiert, die Lebensmittelzuteilungen reichten kaum fürs Überleben und nach der schlechten Ernte 1945 und mitten im strengen Winter 1945/46 dürften selbst äußerst überzeugte Katholiken und Katholikinnen die erlassenen kirchlichen Fasten- und Abstinenzgebote als Zumutung empfunden haben.

Fast- und Abstinenztage sollen der körperlichen und geistigen Vorbereitung auf kirchliche Hochfeste dienen und gleichzeitig an biblisches Geschehen erinnern. Der Verzicht auf Nahrung ist nicht auf das Christentum beschränkt, sondern wird als religiöse Praxis auch in anderen Religionen, etwa im Islam oder im Hinduismus, gepflegt. Für das Christentum sind Fastentage seit frühchristlicher Zeit belegt. Die vorösterliche Bußzeit geht wohl auf das Erste Konzil von Nicäa (325 n. Chr.) zurück. Mit der lutherischen Rechtfertigungslehre (sola gratia), der zufolge einzig die Gnade Gottes und nicht menschliches Handeln Seelenheil verheißt, ist religiöses Fasten nicht in Einklang zu bringen.

Mit Fasten ist der zeitweilige Verzicht auf Nahrung gemeint. Das römisch-katholische Fastengebot sah eine einmalige Sättigung am Tag nebst einer kleinen Zwischenmahlzeit vor. Fastentage waren neben den 40 Tagen von Aschermittwoch bis Ostersamstag (mit Ausnahme der Sonntage) auch die Adventstage, die Quatembertage, die Vorabende kirchlicher Hochfeste (Pfingsten, Weihnachten) und die Tage vor Peter & Paul, Mariä Himmelfahrt und Allerheiligen.

Im Gegensatz zum Fasten bedeutet Abstinenz nach römisch-katholischer Lehre Verzicht auf Fleischspeisen. An den Freitagen als ganzjährig gültigen Abstinenztagen durfte man zwar drei (oder auch mehr) Mahlzeiten zu sich nehmen, sollte dabei aber auf Fleisch verzichten. Am Karfreitag jedoch sowie am Aschermittwoch galt ein striktes Fasten- und Abstinenzgebot; gläubige Katholiken und Katholikinnen durften weder Fleisch essen noch drei tägliche Mahlzeiten zu sich nehmen.

Fastentücher wurden auch als Hungertuch oder Schmachtlappen bezeichnet. Sie waren ein Symbol für die vorösterliche Fastenzeit. Fastentuch in der Pfarrkirche St. Laurentius Warendorf, 1979 (Foto: Walter Suwelack, Alltagskulturarchiv).

Strenge Fastengebote waren in Hungerjahren, wie sie nach Kriegen und besonders nach Missernten nicht selten waren, immer schwer durchzusetzen. Deshalb wurde es den Bischöfen durch den Apostolischen Stuhl anheimgestellt, von der ursprünglichen Strenge des Fastengebotes abzuweichen. Die Bischöfe im Bistum Münster machten von diesem Recht im Laufe des 19. Jahrhunderts regen Gebrauch. So erließ Bischof Johann Georg den Gläubigen per Fastenverordnung von 1859 beispielsweise die mittwöchige Abstinenz im Advent. Außerdem waren – mit Ausnahme des Karfreitags – Fleischsuppen und mit (tierischem) Fett zubereitete Speisen auch an den Abstinenztagen gestattet. Zahlreichen Bevölkerungsgruppen wurden außerdem großzügige Dispense erteilt, z. B. Fabrikarbeitern, Armen, Tagelöhnern, gemischt-konfessionellen Familien, Reisenden, Gastwirten und all denjenigen, die „Militär-Personen“ zu beköstigen hatten oder die von Nicht-Katholiken eingeladen waren. In „Fällen, wo besondere Umstände es nothwendig und räthlich erscheinen“ ließen, durften auch Gemeindepfarrer den Dispens erweitern. Dies wurde vielfach für Schwangere gemacht. Im Gegenzug für die gewährten Erleichterungen waren die Gläubigen angehalten, „ein kleines beliebiges Almosen in eine in den Kirchen mit der Bezeichnung des Zwecks angebrachte Büchse niederzulegen“ (Zitate aus: Fastenverordnung 1859, Kirchl. Amtsblatt der Diözese Münster).

Und wie reagierte Bischof von Galen 1946 auf die Not der unmittelbaren Nachkriegszeit? Zunächst einmal erstaunt es, dass er sich gleich im ersten Punkt der Fastenverordnung auf die Vorkriegszeit bezog und die Gültigkeit der Fastenverordnung vom 6. Februar 1939 bestätigte. Einschränkend verwies er aber auf die ebenfalls 1939 erteilte „allgemeine Dispens“ und beharrte lediglich auf Aschermittwoch und Karfreitag als Fast- und Abstinenztage – an letzterem sei auch der „Genuß von Fleischbrühe verboten“. Wie bereits im 19. Jahrhundert üblich, erinnerte der Bischof zudem an die Entrichtung eines „Fastenalmosens“, das in die Opferstöcke in den Kirchen gelegt werden sollte.

Erstmalig wurden in der Fastenverordnung von 1946 aber auch Alternativen zum Nahrungsverzicht aufgezeigt: „Daher mögen besonders jene, die von der Beobachtung der Fastengebote dispensiert oder rechtmäßig entschuldigt sind, sich freiwillig andere angemessene Abtötungen auferlegen, indem sie sich z.B. des Alkohols oder anderer erlaubter Genußmittel enthalten“.

Der Bischof stieß mit dieser Maßgabe nicht nur die Tür zum Nachdenken über mentale Abhängigkeiten und zeitweiligen Verzicht auf, der in der Jetztzeit beispielsweise im Autofasten oder Handyfasten seinen Ausdruck findet, sondern er schuf die Möglichkeit eines (vorsichtigen) Wechsels von Verordnung und Gebot hin zu freiwilliger Buß-Leistung.

 

Quellen:

Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Münster, Nr. 1, 17. Jan. 1946, Jg. LXXIX, S.4.

Kirchliches Amtsblatt der Diözese Münster, Nr. 3, 26. Febr. 1859, Jg. III, S.19-20.

 

Literatur:

Dörthe Gruttmann (2021): Fasten für das Gemeinwohl. Neue Formen der Enthaltsamkeit, in: Graugold. Magazin für Alltagskultur, 1. Jg., 2021, S.162. 

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Schlagwort: Christiane Cantauw