Schwerpunkt Fotografie: Zwischen Ulk, Souvenir, Reklame, Kunst und Politik: Die Fotomontage in den 1920er Jahren

09.08.2024 Niklas Regenbrecht

Christiane Cantauw

„Die Photomontage (Photoplastik) geht zurück auf das naive, doch sehr geschickte Verfahren alter Photographen, aus Einzelteilen ein neues Bild zusammenzustellen. Sie hatten zum Beispiel den Auftrag, ein Gruppenbild zusammenzubauen von Menschen, die aus irgendeinem Grunde nicht gleichzeitig, sondern nur einzeln aufgenommen werden konnten. Sie kopierten oder klebten die einzelnen Bilder vor einem gemeinsamen, meist Kulissenhintergrund zusammen, und keiner sollte merken, daß die Gruppe zusammengestückelt war. Damit war die erste Photomontage da“, schrieb 1928 der damalige Bauhauslehrer László Maholy-Nagy (1895–1946) in der an Rhein und Ruhr erscheinenden Boulevardzeitung Der Mittag.

1928 war die Technik der Fotomontage eigentlich nicht mehr neu und erklärungsbedürftig, wohl aber die Bezeichnung, die sich seit der Wende zum 20. Jahrhundert nur allmählich durchsetzte. Experimente mit dem Zusammenfügen mehrerer Fotografien und weiterer Materialien zu einem neuen Gesamtbild hatte es schon seit der Erfindung der Fotografie gegeben. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass sich im Fotostudio komponierte Gruppen- und auch Einzelportraits in vielen Fotosammlungen finden. Wenn auch nicht dokumentiert ist, warum im Einzelfall eine Fotomontage in Auftrag gegeben wurde, so sprechen die Fotografien für sich: Ein zentrales Arbeitsfeld der Fotografen war es offenbar, Gruppenaufnahmen einzelne Personen hinzuzufügen. So auch bei einer Aufnahme aus dem Archiv für Alltagskultur: Drei Generationen einer Familie aus Dingden haben für die Atelierfotografie vor einem Atelierhintergrund Aufstellung genommen. Der Fotograf hat die Gruppe weitgehend nebeneinanderstehend oder -sitzend arrangiert. Nur eine Person steht in zweiter Reihe. Dass diese dem Foto nachträglich hinzugefügt wurde, ist leicht ersichtlich. Vermutlich handelt es sich um den Vater, Sohn beziehungsweise Ehemann der Abgebildeten. Er trägt auf dem Foto eine Uniform und war wahrscheinlich zum Zeitpunkt der Aufnahme entweder an der Front oder bereits nicht mehr am Leben.   

In Familienfotografien nachträglich eingefügte Personen waren in den Weltkriegen keine Seltenheit. Portraitfotografie aus Dingden, um 1918. (Foto: Alltagskulturarchiv, Sign.: 0000.77967)
Die „Ehrentafel für die Gefallenen v. Kriegsteilnehmer des Weltkriegs 1914/18“ vereint die Portraitfotografien von Kriegstoten der Gemeinde Darup. (Foto: Alltagskulturarchiv, Sign. 0000.72395)

Ähnlich funktioniert ein Tableau, das unter dem Titel „Ehrentafel“ Portraits der Soldaten der münsterländischen Gemeinde Darup vereint. Als Bildhintergrund wurde in diesem Fall ein Eisernes Kreuz gewählt. Eichenlaub in den vier Ecken des Bildes zielt auf eine Ehrung der Portraitierten ab. Man griff bei dieser „Ehrentafel“ auf eine Bildtradition zurück, die sich bereits seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreute: die Zusammenstellung von Einzelportraits zu einer Gesamtkomposition. Solche Tableaus vereinten Prominente, Adelige, Tänzerinnen, Schauspielerinnen, Schönheiten und eben auch Soldaten, die die Fotomontagen als Erinnerung an Militärdienstzeit oder Kriegsteilnahme kauften.  

Das in einem Hamburger Atelier aufgenommene Portrait eines Soldaten wurde zusammengefügt mit den Portraits der drei deutschen Kaiser Friedrich III, Wilhelm II und Wilhelm I. (Foto: Alltagskulturarchiv, Sign. 1999.00834)

Neben solchen Aufnahmen waren auch Fotomontagen mit Einzelpersonen gefragt: Gerade in Kriegszeiten wünschten sich viele Familien durchkomponierte Soldatenportraits, um die Erinnerung an den Sohn, Ehemann, Bruder oder Vater wach zu halten. Solche Bildkompositionen waren natürlich sehr viel beeindruckender als schlichte Fotografien. Ebenso wie diese setzten sie als Wandschmuck der schmerzvollen Abwesenheit des Abgebildeten eine fotografische Anwesenheit und Wahrheit entgegen, fügten dem Abbild aber noch als weitere Komponenten wie Eichenlaub, das eiserne Kreuz oder das Konterfei des Kaisers hinzu, die auf eine vaterländische Gesinnung schließen lassen.   

Jenseits der Erinnerungskulturen entwickelten sich Fotomontagen bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem Medium der Unterhaltung. So griffen Satirezeitschriften wie der Simplicissimus oder Kladderadatsch gern auf satirisch-politische Fotomontagen zurück, um Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu üben. Fotomontagen waren daneben aber auch als unpolitische humoristische Unterhaltung gefragt. Die Fotoateliers in den größeren Städten boten so allerhand an, was es den Zeitgenoss:innen ermöglichte, sich mit Freund:innen, Schulkamerad:innen oder Kommilitonen lustig in Szene zu setzen.

Ähnlich wie die humoristischen Fotomontagen der 1920er Jahren funktioniert diese Bildkomposition, die 1966 in das Gästebuch einer sauerländischen Pension eingeklebt wurde. (Foto: Alltagskulturarchiv, Sign. 1989.01326)

In den 1920er Jahren eroberte sich die Fotomontage neue Felder: Künstler:innen, die sich dem Dadaismus und der Neuen Sachlichkeit zugewandt hatten, nutzten zunehmend Bildkompositionen als Ausdrucksmittel. Auf großen Ausstellungen wie der Werkbundausstellung Film und Foto, kurz Fifo, die zunächst in Zürich und dann vom 18. Mai bis zum 7. Juli 1929 in Stuttgart und an weiteren Stationen in und außerhalb Deutschlands gezeigt wurde, war die Fotomontage nicht mehr wegzudenken. Der bekannte Künstler John Heartfield (1891–1968) gestaltete dort mit seinen Foto-Kompositionen einen ganzen Ausstellungsraum. Heartfield, über den Georg Biesenthal 1929 in der sozialdemokratischen Volkswacht schrieb: „Er spürte die ätzende Schärfe, die entstand, wenn man eine Schützengrabenphotographie neben das Faksimile einer Speisekarte vom Großen Hauptquartier klebte“, war ein zentraler deutscher Fotomontage-Künstler der 1920er Jahre. Seine wohl bekannteste Arbeit „Nach zehn Jahren: Väter und Söhne 1924“ (1924) vereint Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, hinter ihm eine Reihe strammstehender Soldatenskelette und davor einen Trupp Kinder in Kadettenuniform mit Gewehr über der Schulter. Heartfield nutzte die Technik der Fotomontage für linkspolitische Meinungsäußerungen, die in der Arbeiterpresse und in der Kunstszene gefeiert wurden. Dort wurde die politische Fotomontage als Ausdrucksform der „radikalen Ablehnung des Imperialismus, des Militarismus und der Ausbeutung“ begriffen und postuliert, dass ihre Qualität abhängig sei von ihrem revolutionären Inhalt (Biesenthal, Volkswacht vom 24.5.1929).

Solcherart kritische Meinungsäußerung war in der Werbung natürlich nicht erwünscht. Hier hielt man die Fotomontage vor allem für ein Mittel, über das Modernität zum Ausdruck gebracht werden sollte. Dementsprechend heißt es in der Tagespresse über ein Werbeheft der Stadt Dortmund: „Das Heft dürfte in seiner Gestaltung zu den modernsten Werbeschriften deutscher Großstädte gehören. Die auf dem Umschlag wie auch im Prospekt selbst angewandte Photomontage ruft eine lebendige Wirkung hervor, die jedoch an keiner Stelle eines vornehmen, ruhigen Charakters entbehrt.“ (Westf. Neueste Nachrichten, 16.11.1929)

 

Literatur:

Hägele, Ulrich: Experimentierfeld der Moderne. Fotomontage 1890 – 1940. Tübingen 2017.