Elisabeth Timm
Was hat eine Fotostrecke zum Krieg gegen die Ukraine in einem Magazin für Alltagskultur zu suchen, das sich Westfalen-Lippe widmet? Warum ist auf der Titelseite nichts Westfälisches zu sehen, sondern Hryhorii, ein trauernder junger Mann in Kyiv, der eben erfuhr, dass sein Sandkastenfreund getötet wurde? – Weil wir als Wissenschaftler:innen die Welt und Menschen aus guten Gründen nicht immer so vorstellen und einteilen können, dass es spontan vertraut und bekannt wirkt.
Seit 2021 darf ich gemeinsam mit Christiane Cantauw Graugold herausgeben. Wir haben dieses Magazin erfunden, weil ein neues Medium zur Vermittlung unserer fachlichen Inhalte dringend gebraucht wurde: Die Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen, gegründet 1928 als „Volkskundliche Kommission“ des damaligen Provinzialverbands, und das Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Universität Münster, gegründet 1954 als „Volkskundliches Seminar“ an der Universität Münster, sind zwei wissenschaftliche Einrichtungen, die in ihrer Gründungszeit Ausdruck nationalistischer und völkischer Ideen von ‚Kultur‘ waren. Zwar befassten sie sich vorgeblich mit ‚Region‘, einer vermeintlich harmlosen Kategorie, die aber vom damaligen Provinzialverband ebenso wie vom ersten Inhaber des Volkskundelehrstuhls heimat- und volkstümelnd akzentuiert und verbreitet wurde. ‚Heimat‘ ist, anders als viele meinen, kein unwillkürlich vorhandener Teil einer ‚Identität‘ von Menschen. Jedes Mal wenn wir in unsere Archive gehen und anschauen, was Politiker:innen, Fachleute aller Disziplinen, staatliche und kommunale Behörden, Forschungs- und Vermittlungseinrichtungen wie Volkshochschulen oder Museen seit dem 19. Jahrhundert zu ‚Heimat‘ publiziert, vorgetragen, ausgestellt und finanziert haben, wird klar, in welcher Weise ‚Westfalen‘ als Identitätsangebot mobilisiert wurde.