Koloniale Spuren in Münster: Der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft

10.06.2022 Niklas Regenbrecht

Aus: Ausschuß des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft (Hg.). 10 Jahre Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft. Festschrift zum 11. Juni 1918, Kolonie und Heimat Verlagsgesellschaft m. b. H. 1918, S. 96. Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Sa 5923/372, https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1-12172 / Public Domain Mark 1.0.

Nikola Böcker

Spuren des deutschen Kolonialismus – sollten sie denn beachtet werden – sind oft im Stadtbild zu finden. Wer sich in Münster dem hinteren Teil des Schlossparks nähert, kann mit etwas Neugier das in Vergessenheit geratene Ketteler-Denkmal erblicken. Es erinnert an Clemens von Ketteler, der 1900 im Zuge des „Boxeraufstandes“ in China getötet wurde. Kaiser Wilhelm II. veranlasste als Reaktion darauf einen Rachefeldzug, drei Jahre später wurde das Denkmal errichtet. Das Train-Denkmal am Ludgeriplatz ist dagegen seit Jahrzehnten immer wieder in der Diskussion. Es soll an vor allem im Ersten Weltkrieg gefallene Soldaten des Westfälischen Train-Bataillons Nr. 7 erinnern. Darunter befanden sich auch Mitglieder, die während der Niederschlagung des „Boxeraufstandes“ in China und der Aufstände der Herero und Nama im heutigen Namibia starben. Auch die Benennung von Straßen in Münster geht teils auf die Kolonialgeschichte zurück. Weit weniger sichtbar sind heute jedoch Spuren von Kolonialvereinen, die sich erst nach eingehender Archivrecherche erschließen.

In Münster waren einige dieser Vereine aktiv, darunter auch die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) und ihr Ableger, der Frauenbund der DKG. Obwohl ihre Tätigkeiten auch in diesem Bereich lange wenig beachtet wurden, spielten Frauen im kolonialen Kontext eine wichtige Rolle. Ab den 1890er Jahren erfuhren die karitativen, konfessionellen, nationalistischen und Hausfrauenvereine einen wachsenden Zulauf von Frauen aus adligen und später auch bürgerlichen Kreisen, deren Geschlechterrolle eine Berufstätigkeit weitgehend ausschloss, die aber gleichwohl nach einem sinnvollen Betätigungsfeld und gesellschaftlichem Einfluss strebten. Vielerorts in Deutschland – so auch in Münster – wurden Vereinigungen ins Leben gerufen, die diesem Wunsch entsprachen oder zu entsprechen schienen. Dazu gehörten auch die Kolonialfrauenvereine.

Aus: Ausschuß des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft (Hg.). 10 Jahre Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft. Festschrift zum 11. Juni 1918, Kolonie und Heimat Verlagsgesellschaft m. b. H. 1918, S. 89. Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Sa 5923/372, https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1-12172 / Public Domain Mark 1.0.

Die in der kaiserzeitlichen Gesellschaft weit verbreitete Begeisterung für den Kolonialismus fand auch in den Vereinsgründungen und im Engagement von Frauen ihren Ausdruck: Im Jahr 1908 erfolgte der Anschluss des Frauenbundes an die Deutsche Kolonialgesellschaft. Bereits im darauffolgenden Jahr wurde die Abteilung Münster gegründet. Zunächst vor allem von Angehörigen militärenthusiastisch-konservativer, adliger Kreise bestimmt, entwickelte sich der FDKG im Laufe der nächsten Jahre eher bürgerlich, teils auch sozialreformerisch.

Bekannt wurden in der Zeit zwischen 1910 und 1920 die Vorsitzende Hedwig Heyl (1850-1934) und die Generalsekretärin Else Frobenius (1875-1952). Heyl war die Tochter eines Bremer Großkaufmanns und selbst Unternehmerin, Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin, Frobenius stammte aus einer deutschbaltischen Pastorenfamilie und arbeitete als Journalistin und politische Lobbyistin. Beide unterstützten die Absichten des FDKG, junge deutsche Frauen als Dienstangestellte und potenzielle Heiratskandidatinnen in die Kolonien zu entsenden sowie Werbung für die koloniale Idee zu betreiben.

Zu diesem Zweck veranstaltete der Verein Kolonialfeste und –bälle, Basare, Lotterien oder Theateraufführungen. In den „postkolonialen“ Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bis Mitte der 1930er Jahre kam die Erinnerung an „verlorenen Kolonialbesitz“ hinzu. Tatsächlich erreichte die Zahl der Veranstaltungen der FDKG erst zwischen 1925 und 1935 ihren Höchststand. Ab 1933 wurde der Frauenbund nach und nach gleichgeschaltet bis er schließlich im Reichskolonialbund aufging. Die Integration in nationalsozialistische Organisationen funktionierte jedoch nicht reibungslos, da die Mehrzahl der Mitglieder von Kolonialverbänden politisch konservativ war und der Deutschnationalen Volkspartei oder der Deutschen Volkspartei angehörte.

Die Abteilung Münster des FDKG spielte in dieser Zeit keine kleine Rolle. Auch auf lokaler Ebene können die Entwicklungen der Reichsabteilung nachvollzogen werden. So waren die ersten Jahre geprägt von Vorsitzenden aus dem Adel, allen voran von der Fürstin zu Bentheim-Steinfurt, Pauline zu Waldeck und Pyrmont (1855-1925). Sie war regional mit Werbemaßnahmen für den Verein in den Kreisen Coesfeld und Ahaus aktiv, wirkte von 1910 bis 1913 bei den Gründungen des Westfälischen Gauverbandes und der Abteilungen Burgsteinfurt, Osnabrück, Bielefeld und Gelsenkirchen mit und führte den Vorsitz einer gemeinsamen Kommission der DKG und des FDKG.

Aus: Ausschuß des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft (Hg.). 10 Jahre Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft. Festschrift zum 11. Juni 1918, Kolonie und Heimat Verlagsgesellschaft m. b. H. 1918, S. 68. Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Sa 5923/372, https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1-12172 / Public Domain Mark 1.0.

Auch Anna Krückmann (1868-1955), die aus Rostock stammende Gründerin des Münsteraner Hausfrauenvereins, war bei der Gründung der Abteilung involviert und übernahm zeitweise den stellvertretenden Vorsitz. Sie hatte in diesem Zusammenhang auch Kontakt zu Hedwig Heyl und Else Frobenius. Ihr Mann, Prof. Dr. jur. Paul Krückmann war nicht nur Rektor der Universität Münster, sondern auch Vorsitzender der DKG, Abteilung Münster.

Der Erste Weltkrieg führte zu einschneidenden Veränderungen in der Vereinsarbeit.  Vom 16. bis 18. Juni 1914 fand zwar noch die Hauptversammlung des FDKG in Münster statt, danach verlagerte sich die Arbeit aber auf Kriegshilfsprojekte.

Aus: Ausschuß des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft (Hg.). 10 Jahre Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft. Festschrift zum 11. Juni 1918, Kolonie und Heimat Verlagsgesellschaft m. b. H. 1918, S. 91. Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Sa 5923/372, https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1-12172 / Public Domain Mark 1.0.

Unmittelbar nach dem Ende des Krieges organisierte der FDKG Protestversammlungen und „Kundgebungen gegen den Raub der Kolonien und Unterschriftensammlung“. An der Tatsache, dass Deutschland mit dem Versailler Vertrag auf die Kolonien verzichtet hatte, änderte das aber nichts.  

Interessanterweise steht der politische Verzicht auf die Kolonien im Kontrast zu den Aktivitäten des FDKG, der in den 1920er und 1930er Jahren seine Aktivitäten verstärkte und große Kolonialfeste veranstaltete.

Am 17. Juni 1926 lud der Vorstand der Abteilung Münster des FDKG zum Kolonialfest im Offizierskasino am Neuplatz (heute: Schlossplatz) ein. Die Veranstaltung sollte in Form eines Gartenfestes stattfinden, das Programm beinhaltete eine „Darbietung von Erfrischungen, zwei Militärkapellen, Eingeborenenkraal“ sowie Tanzvorführungen und gemeinsamen Tanz. Auch in den darauffolgenden Jahren zeigte sich der Einfallsreichtum der Abteilung: 1928 veranstaltete der Frauenbund einen „Send in Windhuk“, 1929 dann ein „Oktoberfest am Kilimandscharo“. Das Kolonialfest des Jahres 1928 fand am 17. Juni in „sämtlichen Räumen des Schützenhofes zu Münster“ an der Hammer Straße statt. Wie die meisten anderen Kolonialfeste hatte auch dieses jedoch nicht nur Vergnügung zum Zweck. Der Ertrag sollte „mithelfen zur Errichtung eines Heimathauses ‚Westfalen‘ für alleinstehende deutsche Mädchen und Frauen in Südwestafrika“. Am 6. Oktober 1929 folgte dann das „Oktoberfest“ „im Anschluß an den städt. Werbeumzug zum Besten notleidender, deutscher Soldaten in den ehemals deutschen Kolonien Afrikas“. Der Veranstaltungsort war die „Münsterlandhalle zu Münster“.

Es zeigt sich, dass der Verein bereits in den 1920er Jahren darauf abzielte, durch soziales und kulturelles Engagement den deutschen Einfluss in den ehemaligen Kolonien (und darüber hinaus) zu wahren und auszubauen. Derartige Bestrebungen wurden in den 1930er Jahren weiter intensiviert.      

Im Jahr 1935 richtete die Abteilung Münster des FDKG ein „Kolonialfest mit Richtstrahler nach Afrika“ im Hauptbahnhof aus. Auch hier organisierte der Frauenbund „Tanz und künstl. Darbietungen verschiedenster Art“ sowie „vorzügliche Tanzkapellen“. Ziel des Festes war die „Erhaltung des Deutschtums, insbesondere der deutschen Schulen in Afrika“. Die Veranstalterinnen hatten außerdem einen Richtstrahler organisiert, mit dem ein Radiosignal aus Afrika empfangen werden konnte, um die Authentizität der Veranstaltung zu erhöhen.  

Der Münsterische Anzeiger berichtete am 19.2.1935:

„Es gab nicht nur eine üppige tropische Vegetation, sondern auch Afrikaner und andere Farbige liefen in Massen herum, genau wie wir sie aus den Büchern und vom Zirkus kennen. Außerdem hatte die Luft eine so naturechte tropische Wärme, daß den Blaßgesichtern aus dem Norden der Schweiß in Bächen über die Wangen rann und mancher bedauerte, seinen hellen Tropenanzug angezogen zu haben.“

Auch bei dieser Veranstaltung wurde eine lokale Färbung deutlich:

„Da gab es Quellen mit köstlichem Münsterländer, mit Sekt, mit Bowle und für die starken Männer waren mächtige Bierhähne zwischen dem schattigen Laub angebracht […].“

Dass für diese Veranstaltung der Hauptbahnhof gewählt wurde, war sicherlich kein Zufall. Erst fünf Jahre zuvor war der umgebaute Bahnhof als „Tor zur modernen Stadt“ neu eröffnet worden. Er war so nicht nur Repräsentationsort der Stadt, sondern auch wichtiger Knotenpunkt des regionalen Bahnverkehrs. Hier manifestierte sich die von der Stadtgesellschaft getragene Bedeutung des Kolonialfestes, das auch für die Bewohner:innen der umliegenden Orte leicht zu erreichen war.

Auf der Suche nach kolonialen Spuren im lokalen Umfeld nimmt die Abteilung Münster des FDKG eine nicht zu unterschätzende Position ein. Anders als etwa Denkmäler oder Straßennamen ist die Erinnerung an Kolonialvereine nicht unbedingt direkt im Stadtbild ablesbar. Viele der Orte, an denen prägende Veranstaltungen stattfanden, existieren heute nicht mehr. Die Quellen belegen jedoch, wie bedeutsam der Kolonialismus in Deutschland (und in Münster) auch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war. Sie zeigen aber auch noch etwas Anderes: Die Kolonialvereine stellten zweifellos eine Möglichkeit für die bürgerlichen Frauen dar, gesellschaftlich in Erscheinung zu treten. Die Kehrseite der politischen Emanzipation der Frauen in Kolonialvereinen war aber die Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen im kolonialen Kontext. Frauen wie Anna Krückmann, die sich für die bürgerliche Frauenbewegung, die Familienbildungsarbeit und die Gründung des Hausfrauenvereins in Münster engagierten, ermöglichten gleichzeitig die nationalistischen und rassistischen Vorstellungen und Auswirkungen des Kolonialismus.

Dass diese Aspekte in einer Stadtgeschichte nicht vernachlässigt werden, ist Aufgabe einer kritischen kolonialen Geschichtsschreibung. Seit Kurzem können koloniale Spuren in Münster zum Beispiel auf einer interaktiven Karte des Stadtarchivs nachverfolgt werden: https://www.stadt-muenster.de/kolonialspuren/startseite

 

Quellen und Literatur:

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, K02903.0001: Verkehrsamt der Stadt Münster in Verbindung mit dem Verkehrsverein (Hg.), Das schöne Münster. Der Hauptbahnhof, Heft 20, 15.10.1930, S. 407

Ausschuß des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft (Hg.). 10 Jahre Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft. Festschrift zum 11. Juni 1918, Kolonie und Heimat Verlagsgesellschaft m. b. H. 1918. Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Sa 5923/372, https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1-12172 / Public Domain Mark 1.0

Bundesarchiv R 8023/158: Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft (1907-1929)

Bundesarchiv, R 8023/164: Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft – Ausschuss: Sitzungsberichte (April 1916-Aug. 1922), S. 183, 193

Landesarchiv NRW Abt. Westfalen, K 001/Oberpräsidium Münster, Nr. 5814, S. 92-94)

Landesarchiv NRW Abt. Westfalen, K 301/Kreis Ahaus, Nr. 61

Münsterischer Anzeiger, „Zehn kleine Negerlein … Ein Abend im Schwärzesten Afrika – Das Fest des Kolonialfrauenbundes, Ortsgruppe Münster i.W.“, 19.02.1935

Stadtarchiv Münster, Plakatsammlung, V-295