„frey, ledig und loßgelaßen“. Ein Freibrief von 1710

03.02.2023 Niklas Regenbrecht

Freibrief für Ennike Gerling, 1710, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Bestand Hofarchiv Gerling, K02951.0026.

Nikola Böcker

Der Freibrief für Ennike Gerling ist Teil der Hofakten eines Hofes aus Saerbeck und der einzige seiner Art im Archiv für Alltagskultur in Westfalen. Die derzeitigen Hofbesitzer haben Schriftgut aus vier Jahrhunderten aufbewahrt und die gesammelten Zeugnisse 2017 als Depositum in unsere Sammlung gegeben. Dabei handelt es sich u.a. um Hofübergabeverträge, viele handschriftliche Rechnungen und Quittungen sowie Unterlagen zu Flurbereinigungsmaßnahmen.

Der Brief dokumentiert die Entlassung von Ennike Gerling aus der Eigenbehörigkeit (=westf. Ausprägung der Leibeigenschaft) und ist auf den 13. September 1710 datiert. Unterzeichnerin ist Hedwig Christina Gertrud von Korff zu Sutthausen (um 1640-1721), seit 1688 Äbtissin des 1495 gegründeten adeligen freiweltlichen Damenstifts Freckenhorst, deren Siegel sich in der linken unteren Ecke des Freibriefs befindet. Die Empfängerin des Freibriefs war fortan von allen Pflichten gegenüber dem Stift Freckenhorst befreit, „kraft gegenwertiger Brieffes, gestalt sie sich nunmehro anderen freien Leuthen gleich verhalten, und dahin kehren und begeben mag, woh es ihr am dienligst, und gelegensten zu sein Vermeinen wirdt“. Im Gegensatz zu den Eigenbehörigen war sie nun nicht länger zu Frondiensten verpflichtet, durfte etwa vom Grund ihrer Leibherrin wegziehen und ohne ihre Genehmigung heiraten. Warum genau Ennike den Freibrief erhielt, geht aus dem Bestand nicht hervor. Es könnte sein, dass sie den elterlichen Wohnsitz verlassen wollte, um an anderer Stelle zu heiraten. Dafür musste sie erst ihr bestehendes Hörigkeitsverhältnis auflösen. Die Leibeigenschaft wurde im Königreich Westfalen etwa 100 Jahre nach der Erstellung dieses Freibriefs im Jahr 1808 aufgehoben.

Detailansicht, Siegel des Freibriefes.

Der vollständige Wortlaut des Freibriefes:

Wir Hedewich Christina Gerdrutt des hochadichen freyweltlichen Stifts Freckenhorst Abtissin und Archdiaconische (=Erzdiakonin) daselbsten gebohrne Von Korff Vid. (= vidua = Witwe) Erbfraw zu Satthaußen thuen kundt und bekennen hirmit Vor uns und Eigenbehörige Enneke Gerling Von Johan und Elisabethen auf unßeren Gerlings Erbe ambts Jockmaring ehelich gebohren Dochter von allem Leibeigenthumbs Recht und pflichten wohmit Sie unß bißher Zu verpflichtet gewesen, frey, ledig und loßgelaßen haben thuhen auch solches hirmit und kraft gegenwertiger Brieffes, gestalt sie sich nuhnmehro anderen freien Leuthen gleich verhalten, und dahin kehren und begeben mag, woh es ihr am dienligst, und gelegensten zu sein Vermeinen wirdt, vorbehaltlich daß sie ahn obgl. ( = obligato = Verpflichtung) Unßeres Gerlings Erbe sich aller fernerer ansprache ( = Ansprüche) unterm praetext ( = Vorwand) kindlichen Antheils gäntzlich begeben soll und wölle in Uhrkundt haben gegenwerttiger Freylassungsbrief aigenhandig unterschreiben Und mit Unßeren angebohrenen hochadtlichen Ingesiegel wißentlich bekräftigen laßen. So geschehen Freckenhorst den 13. September 1710.

Hedewich Christina Gertrud Abtissia

Quellennachweis:

Freibrief für Ennike Gerling, 1710, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Bestand Hofarchiv Gerling, K02951.0026.