In Glandorf fand Lucenius ähnliche Zustände vor: Johann Geistemann, Sohn des ehemaligen Pfarrers in Milte, hatte drei Kinder mit seiner Köchin. Im Ritus waren starke protestantische Einflüsse zu finden. Lucenius attestierte dem Geistlichen mangelnde Bildung. Ferner räumte der Pastor selbst ein, sieben Jahre lang nicht gebeichtet zu haben. Als er den Nachweis seiner Weihe vorweisen sollte, präsentierte Geistemann eine plumpe Fälschung.
In Hagen verwaltete ebenfalls ein Pastorensohn die Pfarrei. Konrad Kruse, Filius des Hagener Pfarrers Heinrich Kruse, hatte wiederum selbst eigene Kinder. Die Nichteinhaltung des Zölibats wollte er gegenüber dem Visitator mit der Gewohnheit des Landes, der Schwachheit des Fleisches und der Sorge um die Hausarbeit entschuldigen. Das Sakrament des heiligen Abendmahles wurde nach lutherischem Brauch in beiderlei Gestalt nach der heiligen Messe gespendet.
Nur im Kirchspiel Glane fand der Visitator alles nach „katholischem Brauch und Ritus“ vor. Über die Einwohner urteilte er jedoch: „Das Volk ist unwissend und hat einen Glauben, wie ihn Ansteckung mit dem Irrglauben und die vorausgehenden Zeiten hinterlassen haben.“
Der Bericht zeigt, dass sich noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Pfarrer und Einwohner der Landgemeinden vieler konfessioneller Unterschiede überhaupt nicht bewusst waren. Vielleicht erklärt sich daher die gottesdienstliche ökumenische Zusammenkunft in Lienen. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit: Aus der Zeit um 1600 ist überliefert, dass die Eltern unehelich gezeugter und geborener Kinder vom Osnabrücker Archidiakon als kirchlichem Richter damit bestraft wurden, dass sie fortan in die evangelische Kirche in Lienen gehen mussten und nicht mehr die katholischen Messen in Hagen, Iburg, Glane oder Glandorf mitfeiern durften. Vielleicht sind die Katholiken, die Mitte des 17. Jahrhunderts an den Lienener Gottesdiensten teilnahmen, also vom Kirchenbesuch ihrer Heimatgemeinden ausgeschlossene Christen gewesen.
Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, Grafschaft Tecklenburg, Akten, Nr. 265.
Friedrich Ernst Hunsche, Lienen am Teutoburger Wald. 1000 Jahre Gemarkung Lienen, hrsg. v. d. Gemeinde Lienen, Lienen 1965, S. 280.
Gerd Steinwascher, Konfessioneller Wildwuchs oder Normalität eines religiösen Alltags? Kirchliches Leben auf dem Land im Hochstift Osnabrück in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Miteinander Leben? Reformation und Konfession im Fürstbistum Osnabrück 1500 bis 1700. Beiträge der wissenschaftlichen Tagung vom 3. bis 5. März 2016, hrsg. v. Susanne Tauss u. Ulrich Winzer, Münster u. New York 2017, S. 213–226.
Wilfried Pabst, Konfessionelles Nebeneinander im geistlichen Fürstentum Osnabrück. Protokolle des Generalvikars Albert Lucenius über die Visitation der Kirchen und Klöster im Osnabrücker Land (1624/25). Nach der Urhandschrift aus dem Lateinischen übersetzt v. Wilfried Pabst mit einem Reprint der Edition von Max Bär aus dem Jahr 1900, Osnabrück 1997.
Theodor Penners, Zur Konfessionsbildung im Fürstbistum Osnabrück. Die ländliche Bevölkerung im Wechsel der Reformationen des 17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 72 (1974), S. 25–50.