Fundstück vom Flohmarkt: Rätsel um eine Hochzeitsflasche

01.08.2023 Marcel Brüntrup

Michael Rosenkötter

Vor etwa 50 Jahren fand der Niederländer Henk Rosenkötter eine bunte Flasche auf einem Flohmarkt und kaufte sie kurzerhand. Schon lange beschäftigte er sich mit der Herkunft seiner Familie und sammelte alles, was er mit seinen Vorfahren aus Südlengern (Kreis Herford) in Verbindung bringen konnte.

Der Flohmarktfund ist aber nicht nur für die Familienforschung interessant. Das zeigt sich bei näherer Betrachtung der Gestaltung der bauchigen Flasche: Auf der einen Seite umrahmen zwei herzförmige Möhren eine Grünpflanze. Eine freundliche Sonne strahlt vom blauen Himmel. Eingerahmt wird diese Szene von floralen Ornamenten in blauer und grüner Farbe. Auf der anderen Flaschenseite steht in geschwungener, gut leserlicher Schrift: „Vivat Jurgen Henrich Rosenkötter   Wir beÿden Lieben uns   1813“.

Solche bunt bemalten Flaschen aus Weißglas waren im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts beliebte Hochzeitsgaben der Eheleute untereinander, die als Erinnerung aufbewahrt wurden. Die farbliche Gestaltung und Beschriftung der Flaschen wurde in den Glasbrennereien im Auftrag der Kunden vorgenommen. Auftraggeberin der vorliegenden Flasche war vermutlich die Verlobte von Jürgen Henrich. Sie lässt ihren zukünftigen Ehemann per Inschrift hochleben und bekräftigt: „Wir beÿden lieben uns.“

Hochzeitsflaschen wie die vorliegende waren in Westfalen und im Bergischen Land sehr beliebt. Aus dem Raum Minden-Ravensberg gibt es bislang aber nur dieses Exemplar. Die für die Bemalung der Flasche verwendeten Emailfarben bestehen aus fein zermahlenem, farblosem Glas, dem färbende Metalloxide oder -salze von Kupfer, Kobalt, Chrom oder Mangan beigemengt werden. Der sogenannte Glassfluss wurde mit einem Pinsel aufgetragen und danach in einem Brennofen bei sehr hohen Temperaturen mit dem Glas verschmolzen.

Die Glasmacher, die im Kundenauftrag solche Bemalungen fertigten, hatten ihre Fabrikationsstätten seinerzeit meist in waldreichen Gegenden, da sie viel Brennholz für die Herstellung und Bearbeitung des Glases brauchten. Für die Herforder Glasflasche kommen als Fabrikationsstätte der Teutoburger Wald oder das Lipper Bergland in Frage, denn kurze Wege zu Fuß von der Produktionsstätte hin zum Kunden waren zu jener Zeit eine notwendige Bedingung.

Bei dem auf der Flasche namentlich genannten Bräutigam handelt es sich vermutlich um Jürgen Henrich Rosenkötter (1788-1851). Er war das vierte Kind des Kolonen und Schmiedemeisters Johann Henrich Rosenkötter (1751-1806) und seiner Frau Katharina Marie Krömker (1756-1822). 1813 war Jürgen Henrich 25 Jahre alt – genau das richtige Heiratsalter für einen jungen Mann. Allerdings ist eine Heirat in diesem Jahr für ihn bisher nicht nachweisbar.

Somit geben die Hochzeitsflasche und ihre Beschriftung einige Rätsel auf: Woran sollte die Jahreszahl auf der Flasche erinnern? Wer war der/die Auftraggeber:in dieses Souvenirs?  Jürgen Henrich Rosenkötter heiratete jedenfalls erst zehn Jahre später, am 8. August 1823, eine Anna Catharine Ilsabein Störmer (1796-1837) aus Eilshausen. Vielleicht sollte die Jahreszahl auf der Flasche ja an das Verlobungsjahr des Paares erinnern? Dann wären Jürgen Henrich und Anna Catharine Ilsabein insgesamt zehn Jahre verlobt gewesen. Aus heutiger Sicht mag das sehr lang erscheinen, vor 200 Jahren konnte es dafür aber gute Gründe geben.

Eventuell gab es aber 1813 auch ein Verlöbnis des Jürgen Henrich Rosenkötter, welches nicht in eine Hochzeit mündete, sondern – aus welchen Gründen auch immer – aufgelöst wurde. Vielleicht tauchen ja künftig noch Dokumente auf, die die eine oder andere Hypothese untermauern.    

Über ihre Funktion als genealogisch relevanter Erinnerungsgegenstand und Produkt der Glasmacherei hinaus ist die Hochzeitsflasche auch ein Beispiel für den Wandel der Beziehungen zwischen Mann und Frau: Nicht mehr die arrangierte Ehe, sondern persönliche Zuneigung und Liebe wurden im Laufe der Zeit zur Grundlage für eine Heirat. Dieser Wandel lässt sich zunächst in den unteren Schichten der Gesellschaft beobachten, die nicht über Eigentum verfügten. Deshalb gab es nichts, das durch eine Heirat gewahrt und vermehrt werden konnte und sollte. Die Arbeitskraft beider Ehepartner und ihr auf Liebe gegründeter Lebensbund wurden zur Grundlage der Subsistenz von Köttern, kleinen Handwerkern, Dienstboten und Arbeitern, die teils auf dem Land, vor allem aber in den wachsenden Städten ein (oft kärgliches) Auskommen fanden.