Emil Schoppmann
Behelfsheime als Antwort auf den alliierten Luftkrieg: Wegen der zunehmenden Zerstörung von Wohnraum in den Großstädten sollte ein Wohnungshilfsprogramm ab 1943 durch die Errichtung von einfachen Behelfsheimen erträgliche Unterkünfte für Luftkriegsbetroffene schaffen. Im Rahmen des „Deutschen Wohnungshilfswerks“ (DWH) entstanden reichsweit bis 1945 zumeist an den Dorfrändern oder im Umland der Großstädte auf das Wesentlichste reduzierte Eigenheime als Einzelgebäude oder in kleinen Gebäudeensembles.
Als Sinnbild für das Leben im Provisorium sollten sie nach Kriegsende schnell wieder verschwinden. Doch stattdessen blieben die Behelfsheime oft noch Jahre bis Jahrzehnte von Ausgebombten, später auch Flüchtlingen und Vertriebenen bewohnt. Einige von ihnen existieren bis heute, auch wenn ihr Ursprung oft in Vergessenheit geraten ist.
Anhand seiner nun erschienenen Dissertation schließt Markus Rodenberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Sammlungsreferent im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim, eine bislang bestehende Forschungslücke für den fränkischen Raum. Darüber hinaus gibt seine Arbeit einen umfassenden Überblick über die organisatorischen und ideologischen Voraussetzungen und Hintergründe, die auch im übrigen Deutschland zur Behelfsheimaktion führten. Auf allgemein verständliche Weise zeichnet Rodenberg die Abläufe des Behelfsheimbaues nach, vergleicht die staatlichen Vorgaben mit den in der Realität entstandenen Bauten und geht mithilfe von Zeitzeugeninterviews auf das Leben und Überleben in den kleinen Häusern ein.
Zum Vergleich zieht Rodenberg insbesondere Beispiele aus dem Raum Westfalen heran. Hier haben die Arbeiten von Fred Kaspar zur Stadt Telgte und von Emil Schoppmann zum Dorf Milte, Krs. Warendorf, auf lokaler Ebene bereits grundlegende Einblicke in das Thema erbracht. Während für den Raum Münster festgestellt werden konnte, dass als private Bauherren vorwiegend „höhergestellte“ Personen, sowie „staatstreue“ Beamte infrage kamen, kommt Rodenberg in seinem Fallgebiet zu einem gegenteiligen Ergebnis. Zudem wendet er auf das Bauphänomen Behelfsheim erstmals Henri Lefebvres Modell der drei Dimensionen des sozialen Raums an, ein Ansatz, der die Vielschichtigkeit der Thematik verdeutlicht und sich als gewinnbringend erweist.
Als Gegenstände historischer Wohnungspolitik, aber auch als Mittelpunkte des Alltagslebens und Orte individueller Gestaltung spiegelt sich in den vermeintlich unscheinbaren Gebäuden eine bemerkenswerte Dynamik.
Bibliographische Angaben:
Markus Rodenberg: „Gelebte Räume - Behelfsheime für Ausgebombte in Franken“, Schriften und Kataloge des Fränkischen Freilandmuseums des Bezirks Mittelfranken, Bd. 90; herausgegeben von Herbert May; Bad Windsheim 2020. 424 Seiten; zahlreiche Abbildungen. ISBN 978-3-946457-13-8.