Leonie Figge
Queere Themen werden in der Geschichtsschreibung erst seit wenigen Jahrzehnten wahrgenommen und untersucht. Das liegt zum einen an der häufig eingeschränkten oder schwer zugänglichen Quellenlage, zum anderen aber auch an der Schwerpunktsetzung in der Forschung. Vor allem durch die Beschäftigung mit Protestkulturen hat sich der Blick der Wissenschaft auf gesellschaftliche Gruppen jenseits der Mehrheitsgesellschaft geweitet. Auch in Bezug auf die Münsteraner Stadtgeschichte zeigt sich dabei eine vielmals nicht bekannte Seite der Stadt: In Münster fand beispielsweise die erste Homosexuellendemonstration Deutschlands statt – sieben Jahre vor den ersten Christopher Street Day-Paraden (CSD) in Bremen, Köln und Berlin 1979. Am 29. April 1972 gingen etwa 200 Demonstrant:innen in Münster auf die Straße, um Themen der queeren Community wie Sichtbarkeit, Outing und Diskriminierung in die Stadtöffentlichkeit zu bringen. Bereits 2019 gab es im Stadtmuseum Münster eine Ausstellung zu den Anfängen der Homosexuellenbewegung Münsters, die sich insbesondere mit Anne Henscheid und Rainer Plein auseinandersetzte.
2022 hat sich der Tag dieser Demonstration zum 50. Mal gejährt. Zu diesem Anlass entstanden mehrere wissenschaftliche Projekte, die sich mit dieser anderen Seite der Stadt, ihren Protagonist:innen und ihren Themen auseinandergesetzt haben. Dazu gehören der Film “Münster 1972!”, in dem Mitglieder der LSBTIQ*-Community ihre Erinnerungen an und Sichtweisen auf die damalige und die heutige queere Community Münsters dokumentieren. Sie schildern Erfahrungen, Probleme und Herausforderungen, die damit einen ganz anderen, queeren Zugang zur Geschichte der Stadt und zum queeren Alltagsleben in den 1970ern und 1980ern eröffnen und dadurch queeres Leben sichtbar machen.
Außerdem entstand im Zuge einer Übung zur Historiographie von Queerness im Sommersemester an der Universität Münster unter der Leitung von Dr. Julia Paulus und Dr. Claudia Kemper die Ausstellung “Queer Münster - eine andere Geschichte der Stadt”. Sie wurde am 21.10.2022 im LWL-Museum eröffnet. Die Ausstellung basiert auf größtenteils noch unbearbeitetem Quellenmaterial aus den Archiven der queeren Vereine in Münster, wie dem KCM Schwulenzentrum Münster e.V.. Seit Ende 2022 war die Ausstellung nun bereits an verschiedenen Standorten, wie der Stadtbücherei und dem Theater, aber auch in verschiedenen Schulen in Münster und dem Umland zu sehen. Begleitend zur Ausstellung wurden für Schulklassen Workshops angeboten, für die ein Team aus Studierenden verantwortlich ist.