Gräftenhöfe im Münsterland

08.03.2022 Niklas Regenbrecht

Der Gräftenhof Schulze Welling in Laer ist heute das Rathaus der Gemeinde, Foto: Andreas Eiynck.

Andreas Eiynck

Eine Gräfte (plattdeutsche Bezeichnung für einen Wassergraben) ist im Münsterland mehr als ein künstlich gegrabener Wasserlauf zur Einhegung oder zum Schutz. Eine Gräfte um einen Speicher oder um einen ganzen Bauernhof war vielmehr ein Zeichen für den gehobenen standesmäßigen Anspruch der Bewohner, denn eigentlich waren solche Wasserläufe ein Merkmal der Adelssitze im Münsterland, der sogenannten Wasserburgen.

Das Dorf Südlohn mit dem umgräfteten Pröbstinghof (links), um 1590 (LAV NRW, Abt. Münster, Kartensammung).

Besonders auf den nässestauenden Lehmböden im Kernmünsterland rings um Münster gab es solche Gräftenhöfe bis ins 19. Jahrhundert in großer Zahl. Häufig waren diese Höfe verbunden mit einem Schulzentitel oder einer besonderen Funktion im System der mittelalterlichen Grundherrschaft. So war der Gräftenhof Pröbstingshof (= Hof des Propstes) in Nordwalde ein Haupthof des Domkapitels und der dortige Bispinkhof (= Hof des Bischofs), ebenfalls von einer Gräften umzogen, war ein Haupthof des Fürstbistums Münster.

Torhaus auf dem Gräftenhof Erpenbeck in Ladbergen, Foto: Andreas Eiynck.

Formal lassen sich Hofgräften, Speichergräften, Teilgräften und mehrteilige Gräftenanlagen unterschiedlicher Form unterscheiden. Daraus auf das Alter dieser Anlagen zu schließen, hat sich jedoch als schwierig erwiesen. Dafür sind die Grabenzüge letztlich nicht differenziert genug und außerdem stark an die örtlichen Gegebenheiten angepasst.

Typische Merkmale der bäuerlichen Gräftenanlagen sind die langgezogene Hauptinsel für das Bauernhaus und das Torhaus, das an die wehrhaften Toranlagen der Adelssitze erinnert. Ein baulich besonders ausgestalteter Speicher, neben dem Haupthaus gelegen oder auf einer separaten Gräfteninsel stehend, kam als weiteres Bauwerk hinzu. Abgerundet wurden die Anlagen durch landwirtschaftliche Gebäude wie Scheune, Schuppen oder Ställe. Das waren dann schon recht umfangreiche Baugruppen und scherzhaft fragte man, wenn man auf Reisen so einen Hof von weitem sah: Wie heißt das Dorf dort?

Der untergegangene Gräftenhof Gerkendorp in Ascheberg, um 1560 (LAV NRW, Abt. Münster, Kartensammlung).

Bäuerliche Schulzenhöfe und kleinadelige Adelssitze waren äußerlich kaum unterscheidbar. So gleicht der Adelssitz Haus Runde in der Billerbecker Bauerschaft Beerlage äußerlich einem Gräftenhof. Der dortige Schulzenhof Homoet mit seiner umgräfteten Vierflügelanlage und einer Speicherinsel zeigte hingegen die Form eines Adelssitzes mit Vorburg, Torhaus und Herrenhaus. Die Adelsburg Haus Hameren bei Billerbeck mit ihren umfangreichen Gräftenanlagen ging aus einem mittelalterlichen Schulzenhof hervor, der vermutlich bereits eine Gräfte besaß.

Der Gräftenhof Schulze Lohoff in Laer, Foto: Andreas Eiynck.

Zu Wasserburgen ebenso wie zu Gräftenhöfen gehört die münsterländische Sage von einem geheimen unterirdischen Gang, der unter der Gräfte hergeführt haben soll. Im Belagerungsfall diente er angeblich als Versorgungs- und Fluchtweg. Doch ob ein Gräftenhof mit seinem Wassergraben jemals einer militärischen Belagerung standhalten konnte, sei einmal dahingestellt. Diebe und streunendes Gesindel könnte ein Wassergraben durchaus abgehalten haben – wirkungsvoller war aber sicherlich ein aufmerksamer Hofhund auf der Gräfteninsel.

Gräfte auf dem Hof Essing, heute Reckfort, in Nordwalde, Foto: Andreas Eiynck.

Die äußerlichen Ähnlichkeiten konnten über die standesrechtlichen Unterschiede zwischen Bauernhof und Adelssitz nicht hinwegtäuschen: In den Herrenhäusern wohnten privilegierte Adelsfamilien, auf den Gräftenhöfen eine letztlich doch abhängige bäuerliche Führungsschicht. Dies ließ sich mit aufwendigen baulichen Anlagen, und dazu gehörten auch die Gräften, äußerlich kaschieren und durch Heiraten in die Schicht des verarmten Adels und der münsterischen Erbmänner standesmäßig unterlaufen. An der vorgegeben ständischen Ordnung änderte dies jedoch nichts.

Urkatasterplan des Dorfes Osterwick von 1829 mit dem umgräfteten Pfarrhof.

Schon die preußischen Urkatasteraufnahmen aus der Zeit um 1830 zeigen viele Gräftenanlagen im Verfall. Ihr Unterhalt war aufwendig und sie engten die Ausbaumöglichkeiten für die Hofgebäude ein. So wurden schon im 19. Jahrhundert zahlreiche Gräftenanlagen ganz oder teilweise zugeschüttet. Andere Besitzer ließen die repräsentativen Grabenringe aus Standesbewusstsein bestehen und irgendwann entdeckten auch die Heimatbewegung und der Denkmalschutz den Wert der Gräftenhöfe. Heute stehen viele dieser Anlagen als Bau- oder Bodendenkmäler unter Schutz.

Die Gebäude des Gräftenhofes Osthoff in Nienberge stehen heute im Mühlenhof am Aasee in Münster.

Bewundern kann man solche Gräftenhöfe noch heute an vielen Orten im Münsterland. Sie befinden sich jedoch meistens in Privatbesitz, werden bewohnt und sind öffentlich nicht zugänglich. Außerdem wurde in den meisten Fällen die ursprüngliche Hofbebauung stark verändert. Einige wenige Gräftenhöfe kann man sich aber vor Ort ansehen, zum Beispiel den Gräftenhof Erpenbeck in Ladbergen mit seinem bekannten Hofladen und einer Schinkenräucherei in einem historischen Gebäudeensemble oder den Gräftenhof Reckfort (früher Essing) in Nordwalde, wo auch Produkte der Schäferei Reckfort angeboten werden. Museale Gräftenhöfe gibt es im „Mühlenhof- Freilichtmuseum“ in Münster und im LWL-Freilichtmuseum Detmold. Westfälisches Landesmuseum für Alltagskultur.

Der Gräftenhof Ruck (heute Fraling) in Laer-Altenburg, Foto: Andreas Eiynck.

Literatur:

Werner Bockholt und Peter Weber: Gräftenhöfe im Münsterland. Eine ländliche Siedlungsform im Wandel dargestellt an acht ausgewählten Beispielen. Warendorf 1988.

Link zur Seite „Gräftenhöfe“ der Geografischen Kommission für Westfalen: https://www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Siedlung/Graeftenhoefe

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