Die Perspektive der Menschen, die im Rahmen der Völkerschauen ins Deutsche Reich kamen, ist anders als die Reaktion der Presse und des deutschen Publikums kaum bekannt. Die Arbeitszeit, so lässt sich anhand der Veranstaltungsprogramme nachvollziehen, betrug zwischen acht und zehn Stunden. Neben der Arbeitsbelastung und fehlenden Privatsphäre infolge der ständigen Beobachtung durch das Publikum waren bei Hagenbeck mehrere Todesfälle aufgrund unterlassener Pockenschutzimpfungen oder schlechter Unterbringung zu beklagen.
Neben der Hamburger Bevölkerung und den Tourist:innen nutzten übrigens auch Wissenschaftler die Anwesenheit von Fremden für Ihre Zwecke. Professoren des Seminars für Kolonialsprachen und des Völkerkundemuseums besuchten mit ihren Studierenden die Vorführungen. Ob sie den wissenschaftlichen Nutzen des Besuchs der Präsentationen hinterfragten, die ja auf die Erwartungen des Publikums zugeschnitten waren und somit eher stereotype Bilder als die Realität wiederspiegelten, ist nicht belegt.
Im Verlauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg, sank die Beliebtheit der Völkerschauen, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die „Aura des Exotischen“ und Fremden schwand, da die zur Schau gestellten Menschen außerhalb der Aufführungen am Alltags- und Nachtleben Hamburgs partizipierten. Sie trugen mittlerweile europäische Kleidung und hatten auch europäische Verhaltensweisen übernommen. Zum Entsetzen der Organisatoren verfügte beispielsweise eine Gruppe aus Neukaledonien 1931 über keinerlei traditionelle Kleidung, so dass für sie Südsee-Kostüme nach Vorbildern des Hamburger Völkerkundemuseums gefertigt werden mussten. 1932 schließlich stellte Hagenbecks Tierpark die Völkerschauen endgültig ein.
Die Broschüre ist aber nicht nur ein Beleg für die Völkerschauen, sondern beleuchtet auch die Geschichte der Zoologischen Gärten, in denen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht Forschung und Artenschutz, sondern Schaulust und Überlegenheitsgefühle eine wesentliche Rolle spielten. Dazu bald mehr.