Timo Luks
Die bäuerliche Welt, wie sie sich in den Fragelisten und Berichten zeigt, die im Archiv der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen gesammelt sind, verweist auf eine bestimmte Ordnung der Geschlechter. Diese Ordnung war durch eine idealtypische Sortierung von Tätigkeiten und Tätigkeitssphären gekennzeichnet, die im Alltag allerdings weniger klar voneinander geschieden waren, als es die für das Bürgertum entwickelte These einer „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ (Karin Hausen) impliziert. Im bäuerlichen Leben, das zeigen die Forschungen des Sozialhistorikers Josef Mooser, war die „Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben“ (Hausen) weniger ausgeprägt, und sie wäre – auch im Kontext der gewerblichen Dynamisierung ländlicher Gesellschaften – an vielen Stellen dysfunktional gewesen.
Frageliste 42, die sich im Jahr 1974 auf „Fahrende Leute“ bezog, und ein Interesse für „Zigeuner, Wahrsager, Heilkundige, Bettler, auch wandernde Handwerksburschen“ formuliert hatte, förderte in Sachen Geschlechterordnung einiges zutage. Die Erzählungen von Begegnungen der bäuerlichen Gesellschaft mit Sinti und Roma wurden durch eine explizite Unterscheidung von Männern und Frauen strukturiert. Geschlechtliche Differenzierung lag für die Berichtenden offenkundig nahe – und zwar sowohl in den Beschreibungen der Sinti und Roma als auch der bäuerlichen Reaktionen auf deren Anwesenheit.
Auf inhaltlicher Ebene wiederholten sich die Zuschreibungen in schöner Regelmäßigkeit:
„Während die Männer im Dorf ihre Mätzchen machten oder musizierten, zogen die Frauen über Land wo die Bauern wohnten und bettelten. Wenn die eine Frau im Haus war mit der Bäuerin […], blieb die andere draußen und nahm alles unter Augenschein.“ (Archiv für Alltagskultur; MS05130)
Das ist das Muster: die fremden Frauen ziehen von Haus zu Haus und versuchen, Lebensmittel oder alles, was irgendwie von Wert war, zu akquirieren, durch Diebstahl, durch Kauf, als Geschenk usw. Dabei begegnen sie in der Regel den Bauersfrauen, die faktisch die Situation bewältigen müssen. Frau-frauliche Begegnungen bildeten den Kern zahlreicher Schilderungen.
„Um den Besuch auf eine Mindestdauer abzukürzen, schenkten die Hausfrauen den Zigeunerinnen Lebensmittel, die gerade zur Hand waren. Selten wurden die angebotenen Waren gekauft.“ (ebd.; MS05155)
„Meistens“, so hieß es in einem anderen Bericht, „sind die Frauen unterwegs um zu betteln, und wenn die Gelegenheit ihnen günstig scheint, Diebstähle gern auszuführen. Die Männer sieht man selten, sie bleiben in der Nähe ihres Fuhrwerks.“ (ebd.; MS05285). Damit war der Ort der „Männer“ markiert, oder genauer: eine in bäuerlicher Perspektive und zunächst mit Blick auf Bewegungsradius und Raum relativ präzise Geschlechterdichotomie festgeschrieben. Das verband sich mit bestimmten (gewerblichen) Aktivitäten:
„Während die Männer bei den Wagen und Pferden sich aufhielten und für Futter sorgten, gingen die Frauen, immer zu 2 oder 3, ins Dorf, um Lebensmittel zu betteln.“ (ebd.; MS05613)
„Die Zigeunermänner betätigten sich, wo es möglich war, gern als Pferdehändler, die Zigeunerfrauen als Wahrsagerinnen.“ (ebd.; MS05358)