Herbert Tengelmann war in der NS-Zeit Multifunktionär in der Textilbranche

09.12.2022 Niklas Regenbrecht

Der Nähsaal der Vereinigten Kleiderwerke 1930. Aus: Festschrift 75 Jahre Leineweber (Kommunalarchiv Herford).

Der Gründer der heutigen Firma Brax-Leineweber übernahm ab 1933 zahlreiche Funktionen und war auch an „Arisierungen“ beteiligt. Nach 1945 im Osten enteignet, baute er im Westen seine Firmen wieder auf.

Christoph Laue

Herbert Tengelmann (1896 bis 1959) ist in Herford bekannt als Gründer der Firma Leineweber, heute Brax-Leineweber, eines der größten deutschen Textilunternehmen. Der umtriebige Jurist und Kaufmann hatte Ende der 1920er Jahre zwei Textilfirmen in Herford (Alfermann & Jacobi und Carl Hoth) übernommen und zu den Vereinigten Kleiderwerken zusammengeschlossen, weitere Betriebe angegliedert und 1931 die Firma Bernward Leineweber aus Berlin an den Konzern angeschlossen. 1932 wurde dies der Markenname. Seine Fabrik war eine der ersten mit Fließbandproduktion im Textilgewerbe. Daneben war er auch weiter als Textileinzelhändler tätig.

Herbert Tengelmann 1930. Aus: Festschrift 75 Jahre Leineweber (Kommunalarchiv Herford).

Weniger bekannt ist hier vor Ort seine bedeutende Rolle als Funktionär in der Textilbranche in der NS-Zeit und Beteiligtem an „Arisierungsmaßnahmen“. Im Wikipedia-Artikel zu ihm wird diese Rolle neben seiner NSDAP- und SS-Mitgliedschaft ausführlich vermerkt, in der „Branchengeschichte des deutschen Textileinzelhandels von 1914 bis 1961“ unter dem Titel „Kleidung zwischen Konjunktur und Krise“ von Uwe Balder (Stuttgart 2020) wird seine Tätigkeit so beschrieben, dass der Rezensent  Wilfried Reininghaus in den Westfälischen Forschungen anmerkt „Über ihn würde sich eine Biographie lohnen.“

Hier nur einige Schlaglichter: Tengelmann wurde 1933 Leiter des Reichsverbandes der Bekleidungsindustrie. Bei der Gleichschaltung des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung am 20. April 1933 wurde er ebenso wie bei der Hauptgemeinschaft des Einzelhandels ab 4. Mai 1933 stellvertretender Vorsitzender. Im Oktober 1933 erfolgte die Vereinigung der Leitung der Bekleidungsindustrie und des Textileinzelhandels unter Leitung von Tengelmann, der feststellte, „dass Lieferanten und Abnehmer nicht nur aufeinander angewiesen, sondern auch in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden sind.“ In der ab 18. September 1934 gebildeten „Wirtschaftsgruppe Einzelhandel“ saß Herbert Tengelmann im Präsidium. Im Anfang 1934 gegründeten Reichsbund des Textil-Einzelhandels oblag ihm nach Führerprinzip „die letzte Entscheidung in allen Verbandangelegenheiten“ für die 56.000 Mitgliedsfirmen und führte sie als Fachgruppe 3 Bekleidung, Textil und Leder bis 1943.

Die nationalsozialistische Gleichschaltung der Bekleidungsindustrie und des Textileinzelhandels als Zwangsorganisationen war so bis Ende 1934 abgeschlossen. Über anfängliche Konflikte äußerte sich Tengelmann auf einer Tagung so: „Leider ist noch immer feststellbar, dass in manche Teilen unseres Vaterlandes auch heute noch Männer am Werk sind, die eine mißgünstige Gesinnung nicht verbergen können. Es muss Aufgabe des Reichbundes sein, solche Leute rücksichtslos auszuschalten.“

1938 begann die „Arisierungs“-Welle in der Bekleidungsindustrie und im Textilhandel. Otto Jung, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie unter Tengelmann forderte Arisierungen durch „fachlich qualifizierte Ariseurer“ im Fall „gesamtwirtschaftlicher Notwendigkeit“. Tengelmann konstatierte, die Übernahme jüdischer Betriebe sei so „aus der privaten Sphäre in den amtlichen Bereich gerückt.“ In der Folge waren die von Tengelmann geleiteten Wirtschaftsgruppen an zahlreichen „Arisierungen“ und Liquidierungen jüdischen Betriebe und Geschäfte führend beteiligt.

Das Verwaltungsgebäude der Firma Carl Hoth an der Wittekindstraße im Jahr 1924. Tengelmann übernahm den Betrieb Ende der 1920er Jahre. Die Villa im Vordergrund ist verschwunden (Foto: Kommunalarchiv Herford).

Auch bei der Herforder Firma Elsbach AG durch Adolf Ahlers war er direkt beteiligt, wie Kurt Elsbach 1945 beschrieb: „Tatsache ist, dass Tengelmann als „Fuehrer“ der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie ueber alles bis ins Kleinste unterrichtet war, die Verantwortung traegt und evtl. regresspflichtig ist. Tengelmann muss auch wissen, warum nur Ahlers die Aktien bekommen konnte. Es ist natuerlich moeglich, dass auch Tengelmann Schmiergelder bekommen hat, ueber die er nicht sprechen will und kann. Tatsche ist ferner, dass alle Bewerber ausser Ahlers abgelehnt wurden.“ Elsbach war im Mai 1938 in Berlin verhaftet worden und musste aus der Haft dem Übernahmevertrag vom 21. Mai 1938 zustimmen, bevor er im Juli wieder entlassen wurde.

1946 kam Herbert Tengelmann in das britische Internierungslager, wurde im September 1947 entlassen und 1948 „entnazifiziert“. Seine Ehefrau Martha Tengelmann bat am 10. Juli 1946 in einem Brief an Kurt Elsbach in Uruguay um einen „Persilschein“ für ihren Mann, den dieser aber nicht ausstellte. Tengelmanns Besitzungen im Osten wurden enteignet, in die Villa in Berlin Zehlendorf zog die die Information-Control-Behörde der Amerikaner ein. Zwei seiner Söhne starben im Weltkrieg. Er übernahm wieder die Leitung des Herforder Betriebs, baute bis zu seinem Tod 1959 neue Einzelhandelsgeschäfte auf und wurde u.a. Ehrenmitglied des Bundesverbandes der Bekleidungsindustrie und des Deutschen Textileinzelhandels. Eine ausführliche Biographie wäre wirklich lohnend.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 122, 14.09.2022, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

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