„Diebische Post“: Die Hochzeitszeitung für Else Rosenheim und Gustav Maybaum aus dem Jahre 1910

17.05.2024 Niklas Regenbrecht

"Diebische Post", Titelseite der Hochzeitszeitung für Else Rosenheim und Gustav Maybaum.

Jürgen Scheffler

Das seltene Exemplar einer Hochzeitszeitung für ein jüdisches Brautpaar aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigt, in welchem Maße die Juden um 1900 in die Alltagskultur der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft in den lippischen Städten und Dörfern eingebunden waren. In einem ersten Beitrag dazu im Alltagskulturblog ist zu lesen, wie die Hochzeitszeitung nach Südafrika und wieder zurück nach Deutschland gelangte.

Im Besitz von Steve Hochfeld, der in Johannesburg lebt, ist die Hochzeitszeitung seiner Großeltern mütterlicherseits erhalten geblieben. Else Rosenheim aus Lüdenhausen und Gustav Maybaum aus Barntrup haben im Jahre 1910 in Lemgo geheiratet. Ihre Hochzeitszeitung trägt den Titel „Diebische Post“ und umfasst vier Seiten im Format DIN A 3. Mit ihren Rubriken und Texten ist sie aufgemacht wie eine Sonderausgabe der damaligen Lemgoer Tageszeitung „Lippische Post“. Die Freunde und Verwandten des jüdischen Hochzeitspaares, die die Zeitung herausgegeben haben, orientieren sich an einem Genre, das um 1900 im nicht-jüdischen städtischen Bürgertum weit verbreitet war.

Von Deutschland nach Südafrika: Der private Nachlass von Sigrid und Erst Hochfeld

Sigrid (1911-1989), die älteste Tochter von Else und Gustav Maybaum, ist im Jahre 1937 von Hannover, ihrem damaligen Wohnort, nach Südafrika emigriert. Ernst Hochfeld (1911-1980), ihr Freund, war ein Jahr zuvor vorausgefahren. In Südafrika haben die beiden im Jahre 1937 geheiratet. Dem Entschluss zur Auswanderung ging ein langer Prozess der Entscheidungsfindung voraus. Die Briefe, in denen die Argumente erörtert wurden, sind in der Familie erhalten geblieben. Nach dem Tod von Ernst und später Sigrid Hochfeld haben ihre Kinder sie entdeckt.

Sigrid Maybaum hatte nicht nur Briefe, sondern auch die Hochzeitszeitung ihrer Eltern aus dem Jahre 1910 aufbewahrt. Sie erinnert an die Eheschließung von Else Rosenheim und Gustav Maybaum, die ein Jahr vor der Geburt ihrer Tochter Sigrid in Lemgo geheiratet haben.

Die Lemgoer Gedenkstätte Frenkel-Haus als Ort der Begegnung

Steve, der Sohn von Sigrid und Ernst Hochfeld, hatte im Juli 1996 in Begleitung seiner Töchter eine Deutschland-Reise mit einem Besuch in Lemgo verbunden, der Heimatstadt des Vaters und Großvaters. Bei einem Stadtbummel waren sie auf die Gedenkstätte Frenkel-Haus aufmerksam geworden und hatten in der Ausstellung Fotos und Dokumente über die jüdische Familie Hochfeld entdeckt.

In der Gedenkstätte war Steve mit dem Mann ins Gespräch gekommen, der Aufsicht führte. Er vermittelte den Kontakt zu Karla Raveh, die zufällig in Lemgo zu Besuch war. Das Frenkel-Haus war das großelterlich-elterlich Haus der jüdischen Familie Frenkel, in dem die Familie bis zur Deportation im Jahre 1942 lebte. Seit der Eröffnung der Gedenkstätte im Jahre 1988 hatte die Holocaust-Überlebende Karla Raveh (1927-2017) eine Wohnung im ersten Stock des Hauses. Sie kam in jedem Jahr für mehrere Monate aus ihrer israelischen Heimatstadt Tivon nach Lemgo, um in der Gedenkstätte als Zeitzeugin zu wirken.

Karla Raveh lud Steve und seine Töchter zum Kaffee in ihre Wohnung ein. Steve sagte später über diese Begegnung, dass Karla ihn in ihren Gesten und in ihrer Sprache an seine Mutter erinnerte. Sie konnte sich an Steve’s Familie, an seine Großmutter, die im März 1942 ins Warschauer Ghetto deportiert und dort ermordet wurde, und seinen Vater erinnern. Über den Besuch sagte Steve 2017: „When we met Karla Raveh by chance that Thursday in 1996, it was an affirmation of the survival of the Frenkel and Hochfeld families.“

Von Johannesburg nach Lemgo

Während ihres Aufenthaltes in Lemgo kam es durch die Vermittlung von Karla Raveh zu einer ersten Begegnung zwischen mir als damaligem Leiter des Städtischen Museums, zu dem auch die Gedenkstätte gehört, und den Hochfelds. Weitere folgten, mit Steve’s Frau Penny, seinen Geschwistern und anderen Familienmitgliedern. Um das Jahr 2010 entschied Steve Hochfeld sich, die Briefe und Dokumente aus dem Nachlass seiner Eltern nach Lemgo zu geben. Zunächst schickte er Kopien an das Museum, einige Jahre später die Originale, darunter die Hochzeitszeitung seiner Großeltern aus dem Jahre 1910.

Lemgo, Johannesburg und Nordlippe

Steve Hochfeld verband die Sendung mit dem Wunsch nach einer Ausstellung über die Geschichte der Familie Hochfeld in Lemgo. Gemeinsam habe ich mit ihm und anderen Mitgliedern seiner Familie die Ausstellung vorbereitet, die ab 17. April 2017 mehrere Wochen im Städtischen Museum in Lemgo gezeigt wurde. Am 3. Februar 2019 wurde sie in veränderter Form im „Johannesburg Holocaust & Genocide Centre“ eröffnet. 2022 konnte dann in Kooperation mit dem Kulturstellwerk Nordlippe eine Wanderausstellung realisiert werden. Am Beispiel der Familie Hochfeld ging es um die Geschichte der Juden in den Gemeinden des Bega- und Extertales. Zu den Ausstellungsorten gehörten (Kalletal-) Lüdenhausen, wo Else Rosenheim geboren wurde, und Barntrup, der Geburtsort von Gustav Maybaum.

Warum die Hochzeitszeitung ein zentrales Exponat der Ausstellung war, erfahren Sie in der kommenden Woche in diesem Blog.

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