„Sie arbeiteten alle auf verschiedene Art, denn meist war Holzschuhmacher ein Nebenberuf.“

21.02.2025 Niklas Regenbrecht

Holzschuhfertigung, 1960er oder 1970er Jahre, Foto: Herwig Happe, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 2015.00464.

Timo Luks

1953 gab die Volkskundliche Kommission für Westfalen eine Frageliste zum Thema Holzschuhmacher und Holzschuhe aus. Daraufhin gingen 52 Berichte ein, die sich – wie von der Kommission gewünscht – mit örtlichen Holzschuhmachern, der Herstellungsweise von Holzschuhen, ihrem Vertrieb, ihrem Gebrauch und eventuellen Formen der Zweitnutzung beschäftigten. Zu den Eindrücken, die die Berichte in ihrer Gesamtheit erwecken, gehört das Bild eines tiefgreifenden Wandels. Dieser Wandel bezog sich vor allem auf den Gebrauch, insbesondere auf die Verbreitung von Holzschuhen. Im Kern war das eine Geschichte des Bedeutungsverlusts beziehungsweise ihrer Verdrängung durch Lederschuhe und Gummistiefel.

Ich möchte mich hier auf einen Aspekt konzentrieren, der in den Berichten fast durchweg betont wurde: Von der Holzschuhmacherei allein konnte niemand leben. Bemerkenswert ist, dass die Berichte hier keine Verfalls- oder Verlusterzählung entwarfen. Es war also nicht so, dass früher jemand Holzschuhmacher und sonst gar nichts war. Oder genauer: Wenn das jemandem gelang, dann war es eher ein Einzelfall und besonders günstigen Umständen geschuldet. Der Status als Nebenerwerb war offenbar ein Strukturmerkmal dieses Handwerks.

Im Prinzip waren sich fast alle Berichtenden einig: Der klassische, idealtypische Holzschuhmacher war jemand, der eine kleine Landwirtschaft betrieb und in der Regel Hausbesitzer war. Die meisten hatten „noch ein bißchen Landwirtschaft mit einigen Ziegen und Schweinen und ihr eigenes Häuschen“ (MS00309). Jenseits der Verzahnung mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten berichteten einige Gewährspersonen über eine offenbar ebenso verbreitete Konstellation: Holzschuhmacher im Winter und im Sommer Maurer, Anstreicher, Zimmermann und dergleichen. Ein Bericht erwähnt etwas überraschend die Kombination aus Holzschuhmacherei und Hausschlachterei. Das fällt insofern etwas aus dem Rahmen, als dass es sich beide Male um ein „Wintergewerbe“ handelte. Andere Kombinationen waren da verbreiteter und naheliegender In einem Bericht (MS02462) heißt es:

„In Rüthen waren mehrere Zimmerleute, von denen zwei, und zwar Brüder, das Holzschuhmachen als Nebenberuf ausübten, namentlich im Winter. Der eine der Brüder hatte ein eigenes Haus, besaß auch einige Morgen Acker und Wiese und hielt eine Kuh, Schweine und Hühner und zeitweilig einen Ziegenbock. Der andere wohnte zur Miete und betrieb keine Landwirtschaft.“

Ein Bericht vom 15. Juli 1957, der sich auf den Kreis Wiedenbrück bezog (MS01155), versuchte sich mit Blick auf die vier oder fünf Holzschuhmacher im Umkreis an einer Unterscheidung: So gäbe es zwei bis drei, die ihr Handwerk „beständig“ ausübten, wobei einer der beiden Kötter und der andere Heuerling gewesen sei, „beide trieben also noch Landwirtschaft dabei“. „Die anderen ‚Holzschumakers‘ waren es nur nebenbei, einer war Maurer und machte im Winter Holzschuhe, ein anderer hatte einen Kotten von etwa 20 Morgen, war früher zu einer Weberei nach Gütersloh gegangen“. Da der Kotten „zur vollen Beschäftigung und Ernährung“ nun aber nicht ausreichend gewesen sei, habe er „nebenbei Holzschuhe“ gefertigt.

Dass gerade im ländlichen Raum oft mehrere Tätigkeiten kombiniert wurden, um ein Ein- und Auskommen zu erzielen, ist in der sozialhistorischen Forschung früh erkannt worden. Josef Mooser spricht in seiner Studie zur „ländlichen Klassengesellschaft“ im östlichen Westfalen von einer ausgeprägten „Liebhaberei für Nebenverdienste“. Die Berichte über Holzschuhmacher zeigen, dass es dabei mitunter gar nicht so leicht war, zwischen Haupt- und Nebentätigkeit zu unterscheiden. In einigen Fällen galt offenbar die Landwirtschaft als Nebenerwerb, in anderen Fällen die Holzschuhmacherei usw. Damit ist eine spannende Frage aufgeworfen: Wie realisierte sich unter den skizzierten Bedingungen eigentlich so etwas wie eine „berufliche“ Identität? Es mag haarspalterisch klingen, aber für die Fremd- und Selbstwahrnehmung in der ländlichen Gesellschaft konnte es durchaus einen Unterschied gemacht haben, ob jemand als Maurer angesehen wurde, der ab und zu auch Holzschuhe fertigte, oder als Holzschuhmacher, der sich ab und zu als Maurer verdingte. Und es konnte erst recht einen Unterschied machen, ob jemand in erster Linie über seine landwirtschaftliche oder seine handwerkliche Tätigkeit definiert wurde. Jedenfalls sind die damit verbundenen Prestige- und Statusfragen kompliziert. Sie lassen sich nicht betriebswirtschaftlich beantworten, indem man zum Beispiel einfach feststellt, welche Tätigkeit quantitativ den größten Beitrag zum Einkommen leistet oder die meiste Arbeitszeit in Anspruch nimmt.

Ein weiterer Aspekt, den Josef Mooser für die ländliche Gesellschaft der Mitte des 19. Jahrhunderts herausgearbeitet hat, spielte dagegen in den 100 Jahre später verfassten Berichten über die Holzschuhmacher keine erkennbare Rolle. Mooser betont, dass die Kombination verschiedener Tätigkeiten im Rahmen der Familienwirtschaft „den Besitzlosen eine Selbständigkeit ermöglicht, die in der bäuerlichen Gesellschaft, da Selbständigkeit eben einen Grundbesitz voraussetzte, immer ein latenter Skandal war.“ Daher, so sein Argument, wurde sie von den Bauern „mit offenem Argwohn betrachtet“. Gewerbliche und handwerkliche Nebentätigkeiten, gerade in Verbindung mit einer kleinen Landwirtschaft, bargen so lange Zeit durchaus Konfliktpotential, da sie Hierarchien, Status und soziale Ordnung der ländlichen Gesellschaft mehr oder weniger offen in Frage stellten. Dieser Aspekt findet sich in den Berichten über die Holzschuhmacher nicht. Der Unterschied dürfte in der Art des Nebengewerbes liegen, konkret: im Umfang des damit zu erzielenden Einkommens. Moosers Studie nimmt protoindustrielle Textilregionen in den Blick, die vor dem Übergang zur Industrie durchaus boomten. In dieser Situation konnte textiles Heim- und Nebengewerbe für aus bäuerlicher Sicht „besitzlose“, also „landbesitzlose“ Schichten beachtliche Chancen bieten. Diese Art des Erwerbs begründete dann tatsächlich für einige eine neue (ökonomische) Selbstständigkeit, die – wiederum aus bäuerlicher Sicht – eigentlich nur größerer Grundbesitz hätte gewährleisten können. Die Holzschuhmacherei scheint dagegen durch ihren Umfang und den begrenzten Rahmen, in dem sie sich abspielte, keinerlei Gefahr in diese Richtung bedeutet zu haben. Allem Anschein nach gehörte sie eher in den Kontext der langen Tradition einer „Ökonomie des Notbehelfs“ (Olwen Hufton). Auf derartige Tätigkeiten angewiesen zu sein, war dann eher ein Zeichen der Zugehörigkeit zur ländlichen Unterschicht und eine Bekräftigung ländlicher Hierarchien.

 

Literatur:

Mooser, Josef: Ländliche Klassengesellschaft 1770–1848. Bauern und Unterschichten, Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen, Göttingen 1984.

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Schlagworte: Handwerk · Timo Luks