Bitte recht freundlich: Hunde im Fotoatelier

06.09.2022 Niklas Regenbrecht

Christiane Cantauw

Im Atelier aufgenommene Portraits auf Papier waren seit den 1860er Jahren ein beliebtes Mittel, um bleibende Erinnerungen zu schaffen. Die Preise für eine Sitzung beim Fotografen waren allerdings dergestalt, dass ein Besuch im Fotoatelier bis ins 20. Jahrhundert hinein für einen Großteil der Bevölkerung nicht in Frage kam. Für das Bürgertum war eine Atelierfotografie dementsprechend ein probates Mittel, um zu zeigen, wer man war und dass man sich etwas leisten konnte. Anders als ein gemaltes Portrait galten die vom Fotografen gefertigten Bilder als modern und waren als Visitkartenformate auch im Dutzend zu bestellen, so dass sie sich zu einem beliebten Geschenk entwickelten. Repräsentative Alben, die in den bürgerlichen Salons zum Durchblättern ausgelegt wurden, kündeten von der Praxis des Sammelns von Portraitfotografien, die eindrucksvoll auch die familiären Netzwerke visualisierten.

Pfarrer Verspohl mit Hund, Atelieraufnahme, Dorsten-Wulfen, um 1890, Atelieraufnahme (Archiv für Alltagskultur, Inv.Nr. 0000.49691).

Von dem Willen zur Repräsentation zeugen die Posen der Fotografierten. In Frontal- oder Dreiviertelansicht, teils stehend, teils sitzend schauten sie mit überwiegend ernster Miene in die Kamera. Wegen der Belichtungszeiten von je nach Wetterlage 2 bis 15 Sekunden wurden bei der Erstellung solcher Fotografien sogenannte Kopfhalter verwendet, die die zu Fotografierenden in Position hielten und durch Bewegung verursachte Unschärfen zu vermeiden halfen. Ob so eine Apparatur auch bei dem um 1890 gefertigten Portrait des Pfarrers Verspohl Anwendung fand, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ist aber zu vermuten. Dass es dem Fotografen (und dem Pfarrer) nicht gelang, den Hund, der links neben dem Geistlichen sitzt, zum Stillhalten zu bewegen, ist angesichts der Bewegungsunschärfe jedenfalls offensichtlich. Zufällig gelangte das kleine Tier wohl nicht auf das Bild, denn solche Atelieraufnahmen waren sorgsam arrangiert. Das lässt sich beispielsweise an dem Gebetbuch ablesen, welches der Pfarrer in der linken Hand hält und auf dem Oberschenkel abstützt, oder an dem kleinen Standkreuz, welches auf einem Tischchen neben ihm platziert wurde. Auch die Kleidung des Geistlichen ist angefangen von der Jacke bis zu den Schnallenschuhen sorgsam gewählt. Warum also der Hund?

Johanna Huxoll mit ihrer gleichnamigen Tochter, Minden 1917, Atelieraufnahme aus dem Atelier Hans Kastel (Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr.: 1992.00475).

Auch auf anderen Atelieraufnahmen finden sich Hunde. Dass sich Kinder, Frauen und Männer mit ihren Vierbeinern zusammen im Fotoatelier ablichten ließen, war zwar nicht die Regel, aber auch keine Seltenheit, wie eine Suche im Archiv für Alltagskultur belegt. Wenn es sich um kleinere Hunde handelte, wurden diese vielfach auf einem Stuhl oder einem Hocker platziert, damit die Größen von Mensch und Tier nicht allzu sehr auseinanderklafften. Das war beispielsweise so bei dem Foto, das im Atelier Hans Kastel in Minden 1917 von Johanna Huxoll und ihrer gleichnamigen Tochter aufgenommen wurde: Das etwa zweijährige Mädchen wurde vor der Mutter auf einem Lehnsessel postiert. Den Platz auf der Sitzfläche teilte sie sich mit einem Jack Russell Terrier. Auf diese Weise gelang eine pyramidenförmige Formation, wie sie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreute.

Fotografien von Kindern mit Haustieren (bevorzugt Hunde) sind quasi die Fortsetzung einer Bildtradition, wie sie auch auf niederländischen Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts zu finden ist, wenngleich es die fotografische Technik – anders als die Maltechnik – zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht erlaubte, eine Spielhandlung zu visualisieren. Das mit einem Hündchen oder Kätzchen spielende Kind war auf Gemälden jedenfalls ein beliebtes Sujet, das die familiäre Häuslichkeit versinnbildlichte. Darüber hinaus deutet sich in der Darstellung von Kindern mit Hunden aber auch eine bildliche Parallele von kindlicher Erziehung und der Dressur eines Hundes an.     

Soweit sie nicht jagdlich geführt wurden, zeigten die kleinen Hunde auf Fotografien, dass man es sich leisten konnte, einen Hund als Haustier und Spielkamerad für die Kinder zu halten. Das war bei der Familie des Verwaltungsbeamten Huxoll offenbar der Fall; der Wohlstand lässt sich auch anhand der Kleidung von Gattin und Tochter ablesen.

Belegschaft einer Malerwerkstatt, 1898, Ruhrgebiet, Atelieraufnahme (Archiv für Alltagskultur, Inv.Nr.: 1985.01205).
Drei Männer mit Hund, 1920, Nottuln-Darup, Atelieraufnahme (Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr.: 0000.78135)

Wie Pfarrer Verspohl ließen sich auch andere Erwachsene mit kleinen Hunden ablichten. Auf der Fotografie der Belegschaft einer Malerwerkstatt von 1900 findet sich im Vordergrund beispielsweise ein kleiner Hund auf einem Hocker. Noch bemerkenswerter mutet die Fotografie dreier Herren an, die 1920 in einem Atelier in Nottuln-Darup aufgenommen wurde: Sie zeigt einen der Männer in Frontalansicht, die zwei anderen im Profil um einen Eckstuhl herumstehen. Auf dem Sitzpolster sitzt ein kleiner Hund. Wir haben diese Fotografie auf dem Rücktitel der ersten Ausgabe von Graugold. Magazin für Alltagskultur platziert, weil sie ein ganz spezielles Verhältnis von Mensch und Tier zum Ausdruck zu bringen scheint, denn der kleine Hund erhielt einen Ehrenplatz im Zentrum der Fotografie. Ob dieses Arrangement humorvoll gemeint oder einer besonderen Beziehung zu dem Vierbeiner geschuldet war, ist nicht bekannt.

Große Hunde haben auf Fotografien eine ganz andere Präsenz: Da es sich meist um Jagd-, Schutz- oder Wachhunde handelte, deutet sich über diese Vierbeiner an, dass ihre Besitzer jagdlich aktiv waren oder Besitz hatten, den sie von einem Hund bewachen ließen.

Drei Kinder der Familie Gelbke mit Münsterländer, Atelierfotografie, Bochum 1913 (Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr. 0000.27092)

Zwei Mädchen und ein Junge wurden im Atelier um einen (jagdlich geführten?) Vorstehhund der Rasse Münsterländer postiert. Hund und Kinder standen eng nebeneinander und sahen aufmerksam in die Kamera. Hier fungiert der Hund als Symbol für den Schutz des Heims und der Kinder. Seine Nähe zu den Kindern zeigt aber auch, dass er als Teil der Familie wahrgenommen werden sollte. Der Jagdhund und die Kinder in ihrer repräsentativen Kleidung sind ein deutlicher Hinweis auf die Wohlhabenheit des Haushalts, die gegebenenfalls auch verteidigt werden konnte. Ähnliche Sujets finden sich in der Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts (z. B. Auguste Renoir: Portrait Madame Georges Charpentier).

Mann mit Hund, Gut Mentzelsfelde, Lippstadt, um 1915 (Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr.: 2013.18592)

Den Willen zur Repräsentation drückt auch die Fotografie eines Mannes mit seinem Boxerrüden aus, die in den 1910er Jahren in Lippstadt aufgenommen wurde. Sie zeigt (vermutlich) den Besitzer von Gut Mentzelsfelde, Carl Cosack (1877 – 1918), in Reithose, Reitstiefeln, Weste und Jackett. In der linken Hand hält er eine Reitgerte. Rechts neben dem Mann wurde sein Boxerrüde auf einem Tisch platziert; er überragt fast seinen Besitzer. Dem Fotografen ist hier eine erstaunliche Bildkomposition gelungen, bei der sich Hund und Mensch, obwohl sie sich nicht anschauen, auf Augenhöhe begegnen. Zweifellos wirkte der Hund auf diese Weise noch imposanter; das Verhältnis von Herrn und Hund geriet allerdings aus den Fugen: Wer hier wen dominierte, scheint auf der Fotografie jedenfalls nicht ausgemacht.

Hund Plommi, Atelieraufnahme, Berlin um 1900, Album Lücke (Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr. 1991.00394)

Die fotografische Repräsentation von Hunden und ihren Besitzern (deren Kinder eingeschlossen) im Fotoatelier konnte ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen. Auf die ein oder andere Weise waren die professionell im Atelier abgelichteten Hunde ein Statussymbol, das zum Ausdruck brachte, wer und was man war. Durch und über die Hunde gelang es, familiäre Innerlichkeit, Wohlhabenheit, Dominanz und manchmal auch eine ganz spezielle gefühlsmäßige Bindung zum Ausdruck zu bringen. Das war auch dann der Fall, wenn der Hundebesitzer auf einer Fotografie überhaupt nicht auftauchte wie bei der Atelieraufnahme von Plommi, die in diesem Blog bereits vorgestellt wurde.

Literatur:

Baier, Wolfgang: Welch herrliches Helldunkel! Die Frühzeit der Photographie in Mecklenburg, Schwerin 2006.

Becker, Siegfried: Tierfotografien in der bäuerlichen Bildkultur. Zur visuellen Anthropologie der Mensch-Tier-Beziehung, in: Carola Lipp (Hg.): Medien popularer Kultur. Erzählung, Bild und Objekt in der volkskundlichen Forschung, Frankfurt/New York 1995, S. 406-416.

Buchner-Fuhs, Jutta: Das Tier als Freund, in: Paul Munch (Hg.): Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses, Paderborn u. a. 1998, S. 275-294.

Conrad, Horst: Die Kultur der frühen Fotoalben: Portraits als Ausdruck politischer und familiärer Memoria, in: Westfälische Forschungen, 58/2008, S. 349-366.

Kete, Katleen: Verniedlichte Natur, in: Dorothee Brantz und Christof Mauch (Hg.): Tierische Geschichte. Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne, Paderborn 2010, S. 121-137.