Timo Luks
Wechsel der Uniform: Ein Infanterist mit Augenleiden wird Polizeidiener (1852)
Im Archiv für Alltagskultur in Westfalen befindet sich ein kleiner Bestand, der Dokumente der Familie Stephanblome über drei Generationen hinweg umfasst (K02884). Darunter befinden sich Militärpapiere, Korrespondenz, Urkunden, Zeugnisse, Prüfungsarbeiten, Lehrbücher, ein Wäschezeichenheft, Postkarten, Bücher, Poesiealben, ein Unterhaltungsbuch und Fotos. Die Sammlung umfasst einen Zeitraum von 1850 bis 2014. Teil der Sammlung sind auch einige persönliche Dokumente von Caspar Stephanblome aus Körbecke (K02884.0010), etwa sein Entlassungsschein aus dem Militär (1850), sein Ausmusterungsbescheid (1851) oder zwei Schreiben zu seiner Einstellung als Polizeidiener (1852). Es handelt sich um die ältesten Dokumente im Bestand.
In den Dokumenten der 1850er Jahre erfahren wir nicht viel über die Biografie von Caspar Stephanblome. Aber sie geben doch Einblick in ein durchaus prekäres soziales Milieu – und verdeutlichen, dass der Eintritt in eine Polizeimannschaft, als „Polizeidiener“, im mittleren 19. Jahrhundert keinen rasanten sozialen Aufstieg, zumindest aber Stabilität versprach. Schließlich war damit einerseits ein Einkommen verbunden, dass sich ungefähr auf dem Niveau eines einigermaßen etablierten Handwerksmeisters bewegte, aber eben keinen nachfragebedingten Schwankungen unterlag. Andererseits bot der Polizeidienst – hatte man einmal die Probezeit überstanden (im Fall Stephanblome heißt es im fraglichen Schreiben, die Einstellung erfolge „vorläufig auf sechsmonatliche Probezeit“) – eine langfristige Perspektive und noch dazu Pensionsaussichten, einschließlich einer Versorgung der Hinterbliebenen im Todesfall, wie bescheiden die Zahlungen auch sein mochten. Caspar Stephanblome wurde im August 1884 „in Folge der Anerkennung [seiner] langjährigen treu geleisteten Dienste“ eine jährliche Pension von 500 Mark bewilligt.
In einem Schreiben, das auf den 27.11.1852 datiert ist, wurde Caspar Stephanblome die „erledigte Polizeidienerstelle in der Bürgermeisterei Körbecke“ übertragen, um die er nach dem Ausscheiden aus dem Militär ersucht hatte. Leider ist sein Anstellungsgesuch nicht mehr vorhanden. Zahlreiche andere Anstellungsgesuche für den Polizeidienst sind dagegen für das gesamte 19. Jahrhundert archivalisch überliefert – und diese Schreiben lassen erahnen, dass Caspar Stephanblome ein durchaus typischer Bewerber war. Demnach war das Ausscheiden aus dem Militärdienst, aus welchem Grund auch immer, für viele Männer ein entscheidender Moment, stellte sich damit doch die Frage der beruflichen Zukunft. Diejenigen, die vor ihrem Eintritt ins Militär ein Handwerk erlernt hatten, versuchten zumeist, sich in ihrem erlernten Gewerbe zu etablieren. Gelang das nicht oder hielten sie die Aussichten von vornherein für schlecht, bot sich der Polizeidienst als Alternative an. Das gleiche galt für Männer, denen es gänzlich an Erwerbsmöglichkeiten mangelte. Es trifft den Kern der Sache, wenn ein Polizeiwissenschaftler 1861 mit Blick auf die Kandidaten für den Polizeidienst feststellte, es handle sich vornehmlich um „Schiffbrüchige aus den stürmischen Wogen des Lebens“, die sich „auf die öde Klippe der Polizeimannschaft gerettet haben. Verunglückte Handwerker, Schulmeister, Comptoiristen, Copisten, Lakaien, Jäger, Musikanten, Kellner und Hausknechte, ja sogar bestrafte Verbrecher finden immer noch Zuflucht bei der Polizei“ (Friedrich Christian Benedict Avé-Lallemant).
Ob Caspar Stephanblome Schiffbruch erlitten hatte oder befürchtete, dass es ihm so ergehen könnte, muss Spekulation bleiben. Fest steht, dass er gut zwei Jahre vor seiner Ernennung zum Polizeidiener zunächst vorläufig aus dem Militär entlassen und ihm kurz darauf endgültige Untauglichkeit zum Militärdienst bescheinigt wurde – wegen „unbeseitigbarer Neigung zur Augenentzündung“, wie es im überlieferten „Entlassung-Schein“ heißt. Er war zu diesem Zeitpunkt, so vermerkt das Schreiben der Militärbehörde, „23 Jahre, 6 Monate“ alt und hatte einen 30monatigen Dienst in einem Infanterieregiment hinter sich. Wie sich die gesundheitliche Situation auf andere Beschäftigungsmöglichkeiten ausgewirkt hat, ist schwer zu sagen. Mit Blick auf zahlreiche andere Bewerbungen sowie die Einstellungspraxis von Polizeibehörden um die Mitte des 19. Jahrhunderts lässt sich aber sagen, dass Untauglichkeit zum Militärdienst so gut wie nie Untauglichkeit zum Polizeidienst bedeutet. Die körperlichen Anforderungen und Voraussetzungen beider Dienste waren doch andere. Zudem war der Polizeidienst seit Beginn des 19. Jahrhunderts in das sich langsam etablierende System der Zivilversorgung verabschiedeter Soldaten integriert worden, so dass Männer wie Caspar Stephanblome sich begründete Hoffnungen machen durften, bei der Besetzung entsprechender Stellen bevorzugt berücksichtigt zu werden.
Literatur
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedict: Die Krisis der deutschen Polizei, Leipzig 1861
Luks, Timo: Schiffbrüchige des Lebens. Polizeidiener und ihr Publikum im neunzehnten Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2019.