Wie Paulus gegen die Korinther: Jäger, Jagdexzesse und Wilddiebe in der Grafschaft Ravensberg

19.11.2024 Niklas Regenbrecht

Diese aus der Grafschaft Bentheim stammende Spanschachtel aus dem 18. Jahrhundert zeigt eine Jagdszene, Foto: Irmgard Simon, Archiv für Alltagskultur, Nr. 0000.03950.

Sebastian Schröder

Die Jagd war ein herrschaftliches Vorrecht. Adel und Obrigkeit verdeutlichten damit unter anderem ihre herausgehobene Stellung innerhalb der vormodernen Gesellschaft. Somit bot die Ausübung des Jagdrechts die Möglichkeit, die beanspruchte Macht zu inszenieren. Des Weiteren stellte die Jagd einen Zeitvertreib für die gehobene Gesellschaft dar. Etwa berichtete im Jahr 1750 der Amtmann des Amtes Ravensberg, Meinders, dass im Grenzgebiet zwischen den Territorien Ravensberg und Osnabrück einige Kurgäste aus purer Lust jagen und Hasen schießen würden, ohne das Wildbret zu nutzen. Gleichzeitig diente die Bejagung einiger Wildtiere dem Schutz des Gehölzes; die Zeitgenossen der Frühen Neuzeit klassifizierten manche Tiere aber auch als „Schädlinge“, die es zu bekämpfen oder gar auszurotten galt. Wölfe, Krähen oder Sperlinge sind an dieser Stelle zu nennen, ferner Marder, Füchse und Wildkatzen. Daneben trug das Jagdwesen auch zur Ernährung bei. Prinzipiell behaupteten zwar Adlige und andere Herrschaftsträger für sich das ausschließliche Recht, Wildtiere erlegen und verspeisen zu dürfen, doch auch ihre Untertanen waren teils aus Armut gezwungen ihren Speisezettel kostenlos zu erweitern – häufig genug verbotenerweise durch „Wilddiebereyen“.

Der preußische Landesherr verpachtete sein Recht der Jagdausübung in der Grafschaft Ravensberg. Ab 1684 hatte Arnold Schöneberg Consbruch, ravensbergischer Amtskammerrat und Landrentmeister der Grafschaft, die Jagd im Amt Ravensberg gepachtet. Ihm wurde vorgeschrieben, die Jagd „nur alleine vor eure Person und durch eure Bediente und Leute, nicht aber durch eure Brüder und Anverwante noch durch andere Benachtbarte“ auszuüben. Einmal jährlich müssten die Grenzen des Jagdbezirks „öffentlich durch Horn, Hunde und Jäger“ begangen werden. Derartige Umgänge dienten dazu, sich der Ausdehnung des zu bejagenden Bereichs immer wieder neu zu vergewissern. Zudem sollten mögliche gegnerische Rechts- oder Herrschaftsansprüche abgewiesen werden. In der Regel währte die Pachtdauer sechs Jahre und war mit teils nicht unerheblichen Pachtzahlungen verbunden. Heinrich von Ledebur, Drost und Pächter des Amtes Ravensberg, zahlte beispielsweise ab 1710 einen jährlichen Betrag in Höhe von 31 Reichstalern. Später trat Amtsrat Meinders als Pächter auf, wobei er noch in den 1770er-Jahren den landesherrlichen Kassen eine jährliche Summe von 40 Reichstalern entrichtete. Dabei hatte er allerdings sowohl die Jagd des Amtes Ravensberg als auch diejenige der Domäne Caldenhof in Gebrauch. Neben der Jagd verpachtete der Landesherr ebenso das Recht des Fischfangs. Der ravensbergische Drost Heinrich von Ledebur beklagte sich jedoch im Jahr 1707, dass die „Fischerey“ im Amt Ravensberg kaum Ertrag bringe. Lediglich im sogenannten Forellenbach würden geringe Fischbestände vorhanden sein.

Ein Jäger präsentiert 1952 einen erlegten Fuchs, Foto: Adolf Risse, Archiv für Alltagskultur, Nr. 0000.01853.

Obschon sich die Pächter verpflichtet hatten, dass der Wildbestand „sorgfältig conserviret“ werde, lässt sich den Akten mitunter das Gegenteil entnehmen. Als beispielsweise zu Jahresbeginn 1794 die Pachtzeit des „Beamte[n] zum Ravensberg auf den Kuhhof“ endete, musste der zuständige Landjägermeister von Bandemer für seine Vorgesetzten bei der Mindener Kriegs- und Domänenkammer eine Stellungnahme verfassen. Daraus geht hervor, dass „die Jagd auch in dortiger Gegend, so wie allhier überall sehr von Wilde aller Art entblößt“ sei. Noch fünf Jahre später, 1799, beklagte sich Amtmann Meinders über die „schlechte Beschaffenheit der Jagd“; mehr als 40 Reichstaler an Pacht wolle er daher keinesfalls zahlen.

Die Schuld für den Rückgang des Wildes suchten die landesherrlichen Forstbediensteten zunächst bei anderen Obrigkeiten. So besaßen im Amt Ravensberg einerseits die Besitzer der dortigen Adelshäuser Jagdgerechtigkeiten, obwohl sie nicht einmal vor Ort wohnen würden. Deren Jäger, wie Forstschreiber Schimmelpfennig im März 1788 schilderte, „gehen drauf los wie Paulus auf die Corinther, und schicken die Ausbäute alsden nach Osnabrück oder Bielefeld zum Verkauf“. Ob diese drastische Schilderung den Tatsachen entsprach, kann an dieser Stelle natürlich nicht geprüft werden. Fakt ist jedoch, dass im Bereich des Amtes Ravensberg mehrere Obrigkeiten das Recht der Jagd ausübten und infolgedessen der Wildbestand abnahm. Wer an diesem Rückgang die Hauptverantwortung trug, lässt sich nicht mehr ermessen. Wilddiebstahl darf ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden.

Mitunter wurden derartige Vorkommnisse aktenkundig. So finden sich in den Unterlagen der Mindener Kriegs- und Domänenkammer teilweise „Jagdexzesse“ und Verstöße gegen die Jagdrechte. Etwa wurde der Mindener Landesbehörde 1750 angezeigt, dass Kinder junge Hasen zum Spielen verwenden und dass sie außerdem Vogelnester plündern würden. Betroffen seien vor allem Rebhühner, Wachteln und Enten, die seinerzeit in den Feldfluren des Minden-Ravensberger Landes scheinbar noch häufig anzutreffen waren. Nicht nur die Nester würden zerstört, darüber hinaus versuche man, dieses Federvieh mit „Garnen und Netzen“ zu fangen – dabei handelte es sich gleichsam um einen Verstoß gegen die landesherrliche Jagdordnung.

Die Ausübung der Jagd stellt in vielerlei Hinsicht ein sehr erkenntnisreiches Forschungsfeld dar, das Einblicke in Machtdemonstration, Widerständigkeit, Zeitvertreib, Ernährungsverhalten, Subsistenz und Überfluss gewährt. Alles in allem war die Jagd ein umkämpftes Feld, wobei der Schutz von Natur und Umwelt nur bedingt diskutiert wurde; vordergründig ging es darum, die jeweiligen Nutzungsansprüche gegenüber anderslautenden Behauptungen oder Eingriffen zu verteidigen. Gleichzeitig zeugen die Unterlagen davon, welche Wildtiere einst durch die ravensbergische Flora und Fauna streiften. Auch unter umwelthistorischen Gesichtspunkten lässt sich den Akten demnach viel entnehmen.

 

Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 2951: Verhütung des Ruins der Wildbahn und der Jagdeczesse in Minden und Ravensberg – Band 1, 1689–1783; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 2961: Verpachtung der Jagd im Amte Ravensberg, 1689–1806.

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

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