Christiane Cantauw
„Wer unvorbereitet in die Welt hinein fährt, erlebt die Welt nicht.“ – Das zumindest behauptet Bernd Boehle in seinem Praktischen Reisebuch, das erstmalig 1954 im Bertelsmann Verlag erschien und 1963 bereits die 27. Auflage erfuhr.
Unvorbereitet in die Welt hineinzufahren, das kam für die in Osnabrück ansässige Lehrerin Dr. Hedwig Kruse nicht in Frage. In ihren Reiseunterlagen, die bereits Gegenstand eines Beitrags in diesem Blog waren, finden sich gleich zwei Rom-Reiseführer, nämlich „Kleiner Führer durch Rom für die Pilger des fünfundzwanzigsten Jubeljahrs, hrsg. vom Presseamt des Zentral-Komitees für das Heilige Jahr, [Roma 1950]“ und „Eduard Stommel: Führer durch Rom, 3. Aufl., Freiburg 1950 (DM 5,50)“. Die beiden Stadtführer dienten Hedwig Kruse zum einen zur Vorbereitung auf die Reise, zum anderen nutzte sie sie aber auch während des Aufenthalts in Rom intensiv – das lässt sich anhand von Unterstreichungen, Randnotizen und der Einlage von Eintrittskarten etc. belegen.
Reiseführer konnten 1950 bereits auf eine etwa 120jährige Geschichte zurückblicken. Seit den 1830er Jahren boten sie Reisenden ein vorselektiertes Programm an Sehens- und Erlebenswertem, das die älteren Apodemiken so noch nicht abgebildet hatten. Diese waren noch dem Gedanken verpflichtet, möglichst umfassend, einer Enzyklopädie vergleichbar, über ein Reiseland und den Weg dorthin zu berichten. Die neuartigen Reiseführer markieren nicht zuletzt auch eine tiefgreifende Veränderung des Reisens selbst: Mit dem Bürgertum begab sich nun eine Gruppe von Touristen und auch Touristinnen auf Entdeckungstour, die – anders als die adeligen Reisenden des 17. und 18. Jahrhunderts – nicht mehr alle Zeit der Welt für ihre Reise hatte. Gebildetes Vergnügen trat nun an die Stelle von gelehrtem Studium und der Einführung in soziale Netzwerke.
Die beiden Reiseführer, die Hedwig Kruse auf ihrer Pilgerreise nach Rom mit sich führte, unterscheiden sich in Aufbau, Umfang und auch der Art des Erwerbs. Eduard Stommels Reiseführer kaufte die akribisch alles notierende Hedwig Kruse zum Preis von 5,50 DM. Im vom Presseamt des Zentral-Komitees für das Heilige Jahr herausgegebenen Führer ist hingegen kein Preis vermerkt. Dieser Führer war als Teil des Gesamtpakets „Pilgerzug nach Rom der katholischen deutschen Lehrerschaft vom 7. – 18. September 1950“ des Reiseveranstalters ROTALA im Reisepreis inbegriffen.
Das hauptsächliche Anliegen des vom Presseamt des Zentral-Komitees für das Heilige Jahr herausgegebenen Reiseführers besteht in der Vermittlung „des christlichen Roms in seinen wichtigsten Erscheinungsformen“ (Umschlagseite 2).
Die Einführung beginnt mit dem Satz: „Eine Pilgerfahrt nach Rom ist der Herzenswunsch jedes Katholiken“. (S. 3) Um einen größtmöglichen Gewinn aus der Realisierung dieses Herzenswunsches zu ziehen, wird den Leser:innen ein in 20 Sektoren unterteilter Stadtplan an die Hand gegeben. Die „bedeutendsten Baudenkmäler“ sind mit Nummern in den jeweils einseitigen, farbigen Karten der einzelnen Sektoren eingezeichnet. In einem zweiten Teil des Führers werden dann auf 20 kleinbedruckten Seiten kurze Erläuterungen zu den einzelnen Nummern gegeben. Die „wichtigsten Baudenkmäler“ sind in diesen Erläuterungen ähnlich wie im Baedecker mit einem Sternchen gekennzeichnet. Neben dem Petersplatz, dem Petersdom und den sieben Hauptkirchen erhielten u. a. auch das Kolosseum, die Thermen des Caracalla und die Porta Maggiore einen solchen Stern, obwohl es sich nicht um „christliche Baudenkmale“ handelt.
Sehenswertes und „Nicht-Lohnendes“ werden deutlich benannt: Im Viertel zwischen Villa Borghese, Piazza del Popolo und Quirinalspalast „ist jeder, auch der kürzeste Spaziergang für den Fremden gewinnreich.“ (S. 22) – „Diese Gegend lohnt heute kaum einen Besuch des Pilgers. Der Stadtteil am rechten Tiberufer um die Piazza Mazzini ist ganz neu.“ (S. 12) Grundsätzlich gibt der Führer dem Christlichen oder Antiken stets den Vorzug gegenüber dem Neuen und Modernen, wenngleich die Reisenden auch darauf vorbereitet werden: „Der Fremde soll auch nicht vergessen, daß Rom heute eine moderne Millionenstadt ist mit sehr gemischter Bevölkerung, mit zahllosen abgestandenen (sic!) Katholiken“. (S. 3)