Jubel trotz des verlorenen 1. Weltkriegs

16.08.2024 Niklas Regenbrecht

Gebäude der Familie Brand in den 1930ern (Kommunalarchiv Herford): Die Häuser der Familie Brand in der Löhrstraße gehören heute der Stiftung Brand.

Frieda Brand berichtet 1918 in einer Feldpostkarte an ihren Bruder von geschmückten Straßen und Hurra-Rufen in Herford für heimkehrende Soldaten

Christoph Laue

Am 21. November 1918 wurde in Herford eine Feldpostkarte abgesandt. Frieda Brand schickte ihrem Bruder Ehrhard einen „Gruss aus unserem Garten“ nach Modan in Livland, wo er als Feldpolizei-Kommissar im Kriegseinsatz war. Der Erste Weltkrieg war bereits zehn Tage vorher durch den Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918 beendet worden. Eine tiefe Niederlage für das Deutsche Reich mit großen Folgen. Trotzdem berichtete Frieda von großem Jubel in Herford: 

„Lieber Eberhard! Hoffentlich erreicht Dich diese Karte, die Dir sagen soll, daß es uns sehr gut geht. Hier kommen jetzt täglich die Autos von der Front vorbei, mit Tannen u[nd] Fahnen geschmückt. Unsere Straßen sind mit Guirlanden u[nd] Fahnen geschmückt, man winkt und die Jugend jubelt mit Hurra hinter den vorbeisausenden hinterher. In Bielefeld, Dresden, Berlin geht es gut. Deinen Brief vom 11ten erhielten wir Sonntag. Vater u[nd] ich grüßen Dich herzlich u[nd] wünschen alles Gute.“

Das Kartenmotiv zeigt den Blick aus dem Garten der Häuser Löhrstraße 1 bis 3 auf die Herforder Münsterkirche. Noch heute befindet sich in den Gebäuden die Stiftung Brand, 1984 nach dem Tod von Erhard Brand eingerichtet zum Erhalt der Gebäude und des Gartens für kulturelle, soziale und sonstige gemeinnützige Zwecke. Lange Zeit fanden hier Lesungen und Konzertveranstaltungen statt, zurzeit ruht der Betrieb der Stiftung und soll neu weiterentwickelt werden.

Ansichtskarte 1918 (Kommunalarchiv Herford, Sammlung Geschichtsverein): Gruß aus dem Garten des Hauses Brand.

Nach der familiären und archivischen Überlieferung befand sich dort schon seit dem 10. Jahrhundert ein freier Hof der Abtei Herford. 1638 beim Stadtbrand beschädigt, wurde auf den Fundamenten ein neues Haus und Ende des 18 Jahrhunderts das heutige barocke Haupthaus erbaut. Die Gebäudestruktur ist erhalten, aber renovierungsbedürftig. 1883 erwarb Justizrat Alfred Brand aus Bielefeld das Haus und baute hier zusammen mit seiner Ehefrau Clara Burgheim aus Görlitz seine Kanzlei auf. Fünf Kinder wuchsen im Haus auf: Elisabeth (1882-1973), Erhard (1883-1981), Friederike, auch Frieda genannt (1884-1942), Marie, Mila genannt (1885-1975) und Charlotte, genannt Lotte (1894–1982). Alle besuchten Gymnasien und erlernten Instrumente. Im Haus gibt es bis heute ein Musikzimmer. Die Familie hatte enge Kontakte zu den Geistesgrößen aus Kultur, Musik und Politik ihrer Zeit, viele waren Gäste im Haus. Nach dem Tod der Mutter 1916 kehrte Frieda ins Haus zurück, um den Vater zu unterstützen, der aber bereits 1921 überraschend starb.

Erhard Brand setzte die Kanzlei fort und war besonders nach 1945 im politischen und kulturellen Leben Herfords bekannt. In der NS-Zeit wurden die Geschwister als „Halbjuden“ bedrängt und in ihrem beruflichen Fortkommen geschädigt. Lotte Brand kehrt 1979 aus Berlin zurück und entwickelte mit ihrem Bruder das Projekt der Stiftung.

Die Postkarte spiegelt die Einstellung der Familie zum Krieg, trotz der bereits am 9. November verkündeten Republik und des geschlossenen Waffenstillstands hebt Frieda nicht das von vielen nach Hungerwinter und Verlusten von Verwandten herbeigesehnte Kriegsende hervor, sondern die Begeisterung für die Soldaten. Aber auch die Zeitungen dieser Tage berichten von der Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrates am 9. November 1918 in Herford, der neben der aktuellen Not – so sollte die Bürger ihre Kohlevorräte angesichts der auftretenden Kälte den Hungernden und Frierenden zur Verfügung stellen – am 21. November auch aufforderte „zu Ehren der heimkehrenden Truppen ihre Häuser zu schmücken. Wir halten es für unsere Pflicht, den aus dem Felde heimkehrenden Kameraden, welche über 4 Jahre unter den schwersten Entbehrungen unsere Heimat verteidigt haben einen festlichen Empfang zu bereiten.“

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 129, 12.06.2024, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

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