Ulrich Hengemühle
Eine höhere Schul- und eine Berufsausbildung waren für Mädchen und Frauen bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht selbstverständlich. Das galt in den Städten, aber weitaus mehr noch auf dem Land, wo es keine weiterführenden Schulen gab und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sehr beschränkt waren. Wie gingen die wenigen wohlhabenden Familien, die in den Dörfern lebten, damit um? Kümmerten sie sich um die Aus- und Weiterbildung ihrer Töchter? Welche Bedeutung spielte die Konfession in diesem Zusammenhang? Und welche Möglichkeiten hatten Mädchen aus weniger vermögenden Haushalten?
Diesen Fragen soll im Folgenden am Beispiel von zwei jüdischen Familien aus Reken nachgegangen werden: Berta, Selma und Anna kommen aus der seit Mitte des 18. Jahrhunderts in "Gros-Reeken" ansässigen Familie Lebenstein. Ein Vorfahre, Mendel Lebenstein, hatte hier seit 1787 eine Handelskonzession. Marta Lebenstein entstammt einem Zweig der Familie aus Lembeck. Ihr Vater David Lebenstein (1867-1942) war gegen Ende das 19. Jahrhunderts nach Groß Reken gezogen und war oft auf Unterstützung durch die Familie des Isaak (gest. 1898) bzw. Simon Lebenstein (1851-1917) angewiesen. Dass Helene und Simon Lebenstein der Ausbildung ihrer drei Töchter erhebliche Bedeutung beimaßen, zeigt sich unter anderem schon daran, dass in die schulische Bildung der drei Schwestern einiges Geld investiert wurde: Sie erhielten zusätzlich zur Volksschulbildung Privatunterricht bei einer Gymnasiallehrerin unter anderem in Kurzschrift und Fremdsprachen. Auch den Besuch einer weiterführenden Schule ermöglichten die Eltern ihren Töchtern, Selma wurde sogar auf die Handelshochschule in Köln geschickt. Nach dem Abschluss der schulischen Ausbildung war den drei Mädchen auch das Sammeln eigener Berufserfahrung gestattet, bevor man mit Hilfe eines "Matchmakers" (Heiratsvermittler) nach einer geeigneten, standesgemäßen Partie (Geschäftsmann/-inhaber) Ausschau hielt.