"Eva, Simon und die Anderen". Jüdische Geschichte und Kultur im Raum Herford

07.05.2021 Niklas Regenbrecht

Käthe Elsbach war 1907 Hofdame am Hof der Herforder Schützen (mittlere Reihe 2. von rechts). Foto: Kommunalarchiv Herford.

Christoph Laue

Simon lebte 1306 und ist der erste nachweisbare Mensch jüdischen Glaubens in Herford. Eva Seligmann besaß Ende des 18. Jahrhunderts ein kleines Geschäft im Gehrenberg und musste als Frau und Jüdin um ihre Existenz kämpfen. Viele andere Jüdinnen und Juden haben über 700 Jahre lang etwas zu Kultur, Wirtschaft und Alltag im Raum Herford beigetragen. Ihnen setzt die Gedenkstätte Zellentrakt in diesem Jahr ein Denkmal.

 

Marianne und Hans Loeb aus Vlotho 1938. Er emigrierte, sie starb in Berlin. Foto: Kommunalarchiv Herford.

Über lange Jahre erlebten sie als religiöse und kulturelle Minderheit im christlich geprägten Umfeld neben einer relativen Normalität immer wieder Phasen der brutalen Verfolgung und Vernichtung. Zu oft werden Jüdinnen und Juden heute nur als Verfolgte in der NS-Zeit wahrgenommen. Aber gerade ihr reichhaltiges kulturelles, wirtschaftliches und bürgerliches Leben, das sich vor allem im 19. und 20. Jahrhundert nach einer langen Zeit der rechtlichen Beschneidungen entwickelte, prägte das heutige Herford. Der jähe Abbruch dieser positiven Entwicklung und der mühsame Wiederaufbau nach 1945 bilden bedeutsame Fixpunkte des Lebens und Erlebens auch im Raum Herford.

Wenn heute gerne von einer Normalität jüdischen Lebens in Deutschland – aber auch im Raum Herford – gesprochen wird, muss bedacht werden, dass die heutige jüdische Gemeinde Herford-Detmold weit unter hundert Mitglieder hat und sehr überaltert ist. Eine kleine Minderheit, die trotzdem vom wachsenden Antisemitismus aktuell bedroht ist. Die Gemeinde stellt sich der Herausforderung und zeigt durch den Neubau der Synagoge von 2010 und viele kulturelle Veranstaltungen Flagge. Trotzdem bleibt es eine Aufgabe politischer Bildung, durch die Vermittlung von Kenntnissen über die jüdische Geschichte und Kultur auch im Raum Herford, falschen Urteilen und Vorurteilen die Basis zu nehmen.

2021 steht Deutschland in besonderem Fokus, denn in diesem Jahr leben Jüdinnen und Juden nachweislich seit 1700 Jahren auf dem Territorium des heutigen Deutschlands. Am 11. Dezember 321 erlässt der römische Kaiser Konstantin ein Edikt. Es legt fest, dass jüdische Menschen städtische Ämter in der Kurie, der Stadtverwaltung Kölns, bekleiden dürfen und sollen. Dieses Edikt belegt eindeutig, dass jüdische Gemeinden bereits seit der Spätantike wichtiger integrativer Bestandteil der europäischen Kultur sind.

 

Adolf Spanier aus Enger als Soldat im Ersten Weltkrieg. Foto: Archiv Brakensiek.

1988 wurde in Herford die Ausstellung „Juden in Herford – 700 Jahre jüdische Geschichte und jüdische Kultur in Herford“ gezeigt, die erste umfassende Darstellung zum Thema. Aus Anlass des Jubiläumsjahres zeigt das Kuratorium Erinnern Forschen, das in Folge der damaligen Ausstellung entstanden ist, eine um viele neue Forschungen und Aspekte ergänzte Ausstellung. Insbesondere werden erstmals viele Originaldokumente aus 700 Jahren jüdischer Geschichte aus der Stadt Herford und den jüdischen Gemeinden in Vlotho, Enger/Spenge und Bünde gezeigt. Viele Leihgeber und Projektbeteiligte haben wertvolle Beiträge geleistet.

Ergänzt wird die Ausstellung durch Kurzfilme zu besonderen Daten der Geschichte, ausgewählte Sequenzen aus Zeitzeugenvideos der 1980er bis 2000er Jahre, Berichte über Aktivitäten in Bünde und Interviews der Ausstellungmacher von 1988 und des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, die in der Ausstellung über Touchscreens abgerufen werden können. Tafeln zum aktuellen Antisemitismus im Raum Herford steuerte NRWeltoffen bei. Die Ausstellung im Zellentrakt wird ergänzt durch an 20 Orten jüdischen Lebens im Kreis Herford (Synagogen, Friedhöfen und Wohnorten) dauerhaft angebrachte QR-Codes mit Hörtexten und Fotos zur Selbsterkundung, erstellt in Kooperation mit dem Kreisheimatverein und dem Katasteramt des Kreises. Alle Materialien und Filme sind nach Eröffnung der Ausstellung auch über www.zellentrakt.de abrufbar. Rund um die Ausstellung finden zahlreiche Veranstaltungen und weitere Aktivitäten statt. Die Schirmherrschaft von Ausstellung und Begleitprogramm haben Landrat Jürgen Müller und Bürgermeister Tim Kähler übernommen.

Clara, Max und Paul Hoffbauer beim Spiel im Jahr 1938. Hoffbauers waren Tuchhändler und Zigarrenfabrikanten in Bünde. Foto: Slg. Darnauer.

Sobald wieder möglich, ist die Gedenkstätte Zellentrakt, Rathausplatz 1, 32052 Herford, wieder samstags und sonntags 14 bis 16 Uhr und nach Vereinbarung für Schulklassen und Gruppen aller Art geöffnet. Führungen und pädagogische Angebote sind auf Wunsch möglich. Kontakt: 05221 189257, info@zellentrakt.de. Weitere Informationen und Materialien über www.zellentrakt.de

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 116, 18.03.2021, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

Link: https://www.kreisheimatverein.de/wissen/hf-magazin/

 

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Schlagworte: Museum · Christoph Laue