Jugendarbeit in Vreden. Neuer Band in der Beiträgereihe des Heimatvereins Vreden erschienen

18.02.2022 Niklas Regenbrecht

Einband "Jugendarbeit in Vreden", Foto: Schulte.

Kathrin Schulte

Jugendarbeit als Prävention gegen die „Saat der Irreligiösität und Gottlosigkeit“ (S.15) zur Förderung von „Gemeinsinn und Gottesfurcht, Heimat- und Vaterlandsliebe“ (S.16)? Aus der Perspektive von Kirche und Staat war dies im ausgehenden 19. Jahrhundert durchaus notwendig, da man mannigfaltige Gefährdungen der nachwachsenden Generation ausmachte, denen etwas entgegengesetzt werden sollte. Die Industrialisierung hatte zu einschneidenden gesellschaftlichen Veränderungen und infolge derer zur Herausbildung der Jugend als eigener Lebensphase geführt: Die bürgerliche Jugend lebte aufgrund einer verlängerten Ausbildung länger im Elternhaus, die Jugend aus Arbeiterfamilien zog früh aus, um nach Ende ihrer Schulbildung zum Beispiel andernorts in Fabriken zu arbeiten. Um gerade die letztgenannte Gruppe vor negativen Einflüssen zu schützen, wurde die Jugendarbeit seit Anfang des 20. Jahrhunderts von Seiten der Kirche wie dem Staat zunehmend ausgebaut. So auch in Vreden: Hier wurde 1912 die Jugendabteilung des Arbeitervereins gegründet – als Reaktion auf die Gründung mehrerer Betriebe und die steigende Zahl zugezogener, jüngerer Arbeiter. Kurz darauf wurde auch von kirchlicher Seite eine Jugendabteilung in der Marianischen Junggesellensodalität ins Leben gerufen, die auch durch die Pfarrgemeinde St. Georg unterstützt wurde. Diese Angebote richteten sich anfangs vor allem an männliche Jugendliche, Angebote für Mädchen und junge Frauen sind in den Quellen erst für die Weimarer Republik ersichtlich.

Dies sind die Anfänge der Jugendarbeit in Vreden, der sich Hubert Krandick in der jüngsten Veröffentlichung in der Beiträgereihe des Heimatvereins Vreden unter dem Titel „Jugendarbeit in Vreden. Kirche – Upkamer – Jugendheim – Jugendcampus“ widmet. Ergänzt wird die Veröffentlichung durch einen Beitrag von Volker Tschuschke. Krandick definiert Jugendarbeit einleitend als von Erwachsenen erarbeitete Freizeitangebote, die sich an eine Zielgruppe im Alter von etwa zehn bis 25 Jahren richten. Die Teilnahme daran ist freiwillig und erfolgt in der Freizeit. Das Anliegen des 279 Seiten umfassenden Bandes ist es, einen Überblick über die verschiedenen Angebote und Intentionen der Jugendarbeitsträger von der Kaiserzeit bis zur Gegenwart zu schaffen. Auf der anderen Seite wird aber auch der Perspektive der Heranwachsenden Raum gegeben.

Die frühe Jugendarbeit in der Zeit zwischen 1912 und 1945 thematisiert Volker Tschuschke. Hatte die Jugendbildung bereits im Kaiserreich und in der Weimarer Republik nicht nur erzieherische, sondern auch politische Zielsetzungen, wurde sie während der NS-Zeit systematisch genutzt, um die Jugend zu indoktrinieren. Die verschiedenen Vereine, so zum Beispiel die seit der Kaiserzeit entstandenen Sport- und Musikclubs, wurden aufgelöst, kirchliche Jugendvereine verboten – seit 1936 gab es für die Jugendlichen ausschließlich die verpflichtende Teilnahme an den Freizeitangeboten der Hitlerjugend (HJ) und des Bund Deutscher Mädel (BDM), wo sie der NS-Ideologie entsprechend erzogen wurden.

Nach diesem Überblick über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts widmet sich Hubert Krandick der Jugendarbeit nach 1945, die zunächst vor allem den Zweck einer Demokratieerziehung erfüllen sollte. Die Situation der Jugendlichen hatte sich in den 1950er und 1960er Jahren stark verändert: Die Heranwachsenden orientierten sich weniger an ihren Eltern als an Gleichaltrigen, begehrten gegen ihre Eltern auf, wurden selbstständiger, lebten zunehmend konsumorientierter und erlebten die Entwicklung zahlreicher neuer Unterhaltungsmedien. Zudem hatten sie zunehmend mehr Freizeit und Geld zur Verfügung und konnten individuellere Lebensstile ausprägen – all dies konnte nicht ohne Auswirkungen auf die Jugendarbeit bleiben. Gleichwohl fanden die verschiedenen Träger unterschiedliche Antworten auf die neuen Erfordernisse. Dass Krandick nach einer kurzen chronologischen Einführung deshalb zu einer nach Trägern gegliederten Darstellung wechselt, ist insofern sinnvoll und folgerichtig. Katholische und nichtkatholische Jugendgruppen, Jugendräume in Vreden sowie kommunale Jugendarbeit werden eingehend dargestellt. Hier zeigt sich vor allem die große Anzahl und Vielfalt der katholischen Jugendgruppen, in deren Aufbau und Aktivitäten der Band spannende Einblicke gibt. Auch das Entstehen verschiedener neuer Räume für Jugendliche, aus denen viele noch heute existente Vereine hervorgingen, zeichnet Hubert Krandick nach, ebenso die strukturellen Bedingungen und Veränderungen der kommunalen Jugendarbeit.

Der Band ist reich bebildert, Foto: Schulte.

Besonders hervorzuheben ist die Quellenvielfalt des Bandes: Neben Quellen aus verschiedenen Archiven nutzen Krandick und Tschuschke zahlreiche Abbildungen, so Fotografien verschiedener Vereinsaktivitäten, Abbildungen von Flyern und Plakaten sowie Mitgliedsausweisen und ähnliche Dokumenten, um ihre Ausführungen zu veranschaulichen. Zudem finden sich im Anhang nicht nur einige Zeitungsartikel der Ahauser Kreiszeitung zur katholischen Jugendkundgebung in Vreden aus dem Jahr 1932, sondern auch mehrere Zeitzeugenberichte. Hier berichten fünf Personen über ihre Erfahrungen in verschiedenen Jugendgruppen zu verschiedenen Zeiten, so der Jungschar oder den Pfadfindern, was kurze persönliche Einblicke erlaubt und die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Jugendarbeit in Vreden anschaulich abrundet.

 

Krandick, Hubert: Jugendarbeit in Vreden. Kirche – Upkamer – Jugendheim – Jugendcampus. Mit einem Beitrag von Volker Tschuschke. Beiträge des Heimatvereins Vreden zur Landes- und Volkskunde, Band 102. Hrsg. vom Heimat- und Altertumsverein der Vredener Lande, Vreden 2021.