Die Preußische Kriegs- und Domänenkammer und der Kampf gegen Viehseuchen

12.05.2023 Niklas Regenbrecht

Hirten entwickelten ihrem Erfahrungshorizont entsprechend spezielle Maßnahmen im Umgang mit Viehkrankheiten und Seuchen. Was um die Wende zum 18. Jahrhundert neu war, war die Frage nach einer wissenschaftlichen Überprüfbarkeit der Wirksamkeit dieser Maßnahmen. (Fotograf: Peter Hensch, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 2005.02228)

Sebastian Schröder

Die „Vogelgrippe“ oder die „Afrikanische Schweinepest“ treiben Bäuerinnen und Bauern – und nicht nur ihnen – die Sorgenfalten auf die Stirn. Kommt es zum Ausbruch, müssen teils ganze Viehbestände gekeult und Sperrzonen eingerichtet werden. Obwohl heutzutage Tierseuchenkassen die wirtschaftlichen Schäden abmildern, stellen derartige Krankheiten trotzdem schmerzhafte und tiefe Einschnitte dar. Infektiöse und hochansteckende Epidemien unter Tieren sind allerdings keineswegs eine ausschließliche Erscheinung der modernen Landwirtschaft. Ganz im Gegenteil fürchteten bereits unsere Vorfahren sich seuchenhaft ausbreitende Infektionen ihres Viehbestandes. Gleichwohl war der Umgang mit dieser Krankheitserfahrung ein gänzlich anderer als in der heutigen Zeit, in der wissenschaftlich geschulte Veterinärmediziner:innen über Behandlungsmethoden verfügen und Schutzmaßnahmen einleiten. Im preußischen Westfalen waren im 18. Jahrhundert in diesem Zusammenhang die Kriegs- und Domänenkammern zuständig. In ihren Registraturen finden sich Schriftstücke, die von tierischen Krankheiten und Gegenmaßnahmen künden.

Beispielsweise erließ der preußische König Friedrich II. (1712–1786) im Frühjahr 1769 ein „PATENT und INSTRUCTION, wie bey dem Viehsterben verfahren werden soll“, das er über seine Kammerverwaltungen allerorten publizieren ließ. Darin wurden die königlichen Beamten, Pfarrer und sonstigen Personen des öffentlichen Lebens dazu angehalten, sofort die übergeordneten Behörden zu informieren sobald eine Viehseuche ausbreche. Anschließend setzte sich ein genau festgelegter Mechanismus in Gang. Auswärtige durften lediglich mit Attesten einreisen, die belegten, dass im Herkunftsland keine Tierkrankheiten herrschten. Rinder und tierische Produkte sollten weitestgehend vom Handel über die Grenzen hinaus ausgeschlossen werden. Sofern die Einfuhr unvermeidbar sei, müssten die Tiere eine achttägige Quarantäne absolvieren. Darüber hinaus war jeder Landwirt verpflichtet, für gute Haltungsbedingungen zu sorgen. Wenn ungeachtet aller Vorkehrungen eine Seuche innerhalb des Landes ausbreche, sei das betroffene Gehöft sofort unter Arrest zu stellen. Kein Tier durfte mehr den Stall verlassen; verendete Rinder mussten einen halben fuß hoch mit Erde bedeckt werden, „damit die bösen Ausdünstungen nicht Anlaß zur Verbreitung […] geben mögen.“ Zudem sei der gesamte Viehbestand des landwirtschaftlichen Anwesens zu keulen. Die benachbarten Höfe sollten ihre Ställe täglich reinigen und ausräuchern. Zeigten diese Verordnungen keine Wirkung, sodass sich die Seuche ungehindert ausbreite, ändere man die Maßnahmen. Statt des Tötens gesunder Tiere sollten stattdessen nicht betroffene und kranke Rinder voneinander getrennt werden. Das ungesunde Vieh habe man daraufhin an entlegene Orte zu verbringen.

Im Gegensatz zu diesen obrigkeitlichen Bestimmungen behalf man sich vor Ort allerdings vielfach noch mit Praktiken, die auf kräuterkundlichen oder sogar magischen Vorstellungen beruhten. So brach im Jahr 1764 vor den Toren der Stadt Minden eine schwere Seuche unter den Schweinen aus, die dort unter Aufsicht von Hirten gemästet wurden. Die Krankheit bezeichneten die Zeitgenossen als „Bräune“ oder „Wildes Feuer“ (später konnte darunter auch Milzbrand verstanden werden). Dabei entzündete sich der Hals der Borstentiere stark und auf ihren Zungen bildeten sich Blasen. Oft plagte das Vieh zudem Fieber. In der Folge verendeten zahlreiche Tiere. Um der Verbreitung dieses infektiösen Geschehens Einhalt zu gebieten und ebenso als vorbeugende „Cur“, entzündeten die Schweinehirten mit Stroh ein Feuer – sie nannten es das „heilige Feuer“. Insgesamt dreimal jagten sie das Vieh nun durch die Feuerstelle. Bürgermeister und Rat der Stadt Minden waren von dem Resultat dieser „Behandlung“ durchaus angetan. Denn kurz danach habe man keine neuen Ausbrüche mehr beobachten können. Im Hudebezirk vor dem Simeonstor seien nur sechs oder sieben Schweine gestorben, doch immerhin hätten mehr als 30 Borstentiere überlebt. Aber ob es wirklich an dem „heiligen Feuer“ lag, dass die Seuche gestoppt werden konnte? Diese Frage stellte die Mindener Stadtobrigkeit dem Stadt- und Landphysikus sowie Hofrat Muhlius, der im Auftrag der landesherrlichen Kriegs- und Domänenkammer bei tierischen Krankheitsausbrüchen zu ermitteln hatte. Schon damals mussten Epidemien nämlich gemeldet werden.

Der Experte war skeptisch, ob das „heilige Feuer“ nicht eher schädlich sei: „Denn obschon ein Schwein, als eine unvernünftige Creatur, sich von der Gefährlichkeit und Schaden einer solchen Stroh-Flammen-Hitze keine Vorstellung machen kann“, so müsse es doch für die Tiere eine schmerzhafte Tortur sein, dem Feuer über einen längeren Zeitraum ausgesetzt zu sein. Vermutlich würden Angst und Panik das Vieh sogar noch anfälliger machen. Dass einige Schweine die Pein überstanden, sei reiner Zufall. „Es wird derohalben am rathsamsten seyn, dieses entsetzliche Mittel zu unterlaßen und ordentliche Artzeneyen und Hülffs-Mittel zu gebrauchen“, empfahl der Mediziner.

Doch auch die Methoden des Fachmannes muten heutzutage ziemlich brutal an. Einerseits schwor Muhlius auf die Wirkung des Aderlasses. Andererseits solle man eine in Öl getunkte Nadel mit einem Bindfaden durch die Haut der Hinterkeule stechen und täglich einige Male hin- und herziehen, damit die „viele böse Feuchtigkeiten auszufließen pflegen“. Des Weiteren könnten mit warmer Flüssigkeit oder einer Kohlpflanze vermengte „Pulver“ helfen. Akute Schwellungen im Hals der Borstentiere sollten mit einem Umschlag aus dem Brei von Roggenmehl behandelt werden, ehe man das Geschwür eröffne und die Wunde mit Teer verschließe. Zur Verhütung von Krankheiten riet der Stadt- und Landphysikus ferner, die Futtertröge oder Gefäße, in denen das Futter lagere, einmal im Jahr mit frischen Zaunrüben sowie einem Beutel voll mit großen Ameisen zu „desinfizieren“.

Tierseuchen begleiten Mensch und Vieh schon lange. Die Art und Weise, wie man derartigen Krankheitsverläufen begegnete, hat sich jedoch gravierend geändert. In der modernen Veterinärmedizin besitzen viele der im 18. Jahrhundert diskutierten Maßnahmen keine Berechtigung mehr – heutzutage würde man die Borstentiere vermutlich als „arme Schweine“ bemitleiden. Dennoch ist es sehr aufschlussreich, diese „Curen“ zu studieren, um einen Eindruck von historischen Krankheitskonzepten und dem damaligen Wissenshorizont zu erhalten.

 

Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 402: Anwendung des sogenannten heiligen Feuers durch die Hirten zur Abwendung von Seuchen der Schweine und Verhinderung dieses Missbrauchs, 1764–1777.

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 803/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Verwaltung der Grafschaften Tecklenburg und Lingen, Nr. 8: Instruktionen wegen Viehseuche, 1769–1803.

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

Die Preußen wollen umsatteln: Zugochsen statt Pferde lautete die Devise

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