Die Kastenkrippe der Anna Katharina Emmerick

08.12.2023 Marcel Brüntrup

Andreas Eiynck

Vor einem Jahr wurden in diesem Blog zwei Kastenkrippen aus dem 18. Jahrhundert vorgestellt, die aus der früheren Kapelle des Großen-Heilig-Geist-Spitals in Coesfeld stammen. Es gibt in Coesfeld aber noch eine weitere Kastenkrippe aus der Zeit um 1800, die heute in der Gedenkstätte für die 2004 selig gesprochene Augustiner Chorfrau Anna-Katharina Emmerick (1774-1824) in ihrem Geburtshaus in der Bauerschaft Flamschen ausgestellt ist.

Die Kastenkrippe der Anna-Katharina Emmerick aus der Zeit um 1800.

Das äußere Gehäuse dieser Krippe bildet ein giebelförmiger Kasten aus Nadelholz mit einer Nut für eine Glasscheibe auf der Vorderseite. Die Scheibe selber ist nicht erhalten. Links und rechts stehen auf einem kleinen Holzpostament Maria und Josef. Die Figuren bestehen aus Gips und sind flach, fast reliefartig ausgeformt. Gesichtszüge, Haartracht und Kleidung sind farbig gefasst. In der Mitte der Szene liegt das Jesuskind. Im Verhältnis zu Maria und Josef ist es übergroß dargestellt. In seiner Form erinnert es an eine Spielzeugpuppe. Gesichtszüge und Haare sind aufgemalt, während seine Kleidung, ein Röckchen, aus einem Stück plissierter Spitzenborte besteht. Vor dem Jesuskind liegen zwei kleine Gipsschafe. Solche Krippenfiguren aus Gips konnte man fertig kaufen. Die künstlerische Leistung bestand also nicht im Herstellen der Figuren, sondern im Aufbau der Szenerie.

Im Mittelpunkt der Darstellung steht das Jesuskind, schon durch Form und Größe hervorgehoben. Anders als die anderen Figuren ist es aus einer wachsartigen Masse geformt. Das Kind ist gebettet auf ein „Beet“ mit großen, weißen Blümchen aus gepressten und getrockneten Buchenblättern, deren Blüten aus Seidenstoff gefertigt wurden.

Die Seiten und die Decke des Krippenkastens sind bauschig mit gelb-blauem, glitzerndem Papier ausgeschlagen. Sie sind wohl dem Sternenhimmel der Nacht von Bethlehem nachempfunden. Der Vordergrund wurde mit ganz alltäglichen Dingen gestaltet: Schneckenhäuser, getrocknete Feldblumen und kleine Scherben von einem Spiegel.

Auf den heutigen Betrachter wirkt so eine Krippenszene sicherlich etwas naiv. Offensichtlich wurde hier mit einfachsten Mitteln aus dem alltäglichen Bereich die Weihnachtsgeschichte eingenständig gestaltet. Dazu muss man die einfachen Wohn- und Lebensverhältnisse auf einem Kotten im Münsterland um 1800 bedenken: Mensch und Vieh in einem Raum, die Feuerstelle ohne Rauchabzug. In dieser Lebenswelt ist die Krippe der Anna- Katharina Emmerick entstanden.

Die Herkunftsgeschichte lässt sich nicht bis in die Zeit der Emmerick, sondern lediglich bis in die 1920er-Jahre zurückverfolgen. Damals war der später unterbrochene Seligsprechungsprozess für die fromme Nonne schon einmal weit fortgeschritten und an ihren Lebensorten in Coesfeld und Dülmen wurde eifrig um Bekanntgabe von Gegenständen geworben, die in der Bevölkerung noch vorhanden waren und an Anna-Katharina Emmerick erinnerten.

1923 wurde die St. Jakobi-Kirche in Coesfeld, die Taufkirche der Emmerick, für die rasch wachsende Gemeinde erweitert. Dabei entstand auch eine inoffizielle „Emmerick-Kapelle“, die zur Verehrung der zukünftigen Heiligen geplant war. Dort soll auch die Kastenkrippe der Anna-Katharina Emmerick Aufstellung gefunden haben. Sicher ist jedenfalls, dass der Coesfelder Bildhauer Eduard Fischer in dieser Zeit ein neues Gehäuse für die Krippe gestaltet hat. Die von Fischer gestaltete, beschnitzte Vorderfront zeigt Rankenwerk und im Giebel die verschlungenen Buchstaben KE, die Initialen von Katharina Emmerick.

Wo sich die Krippe zuvor befunden hatte, wurde damals sicherlich dokumentiert, die entsprechenden Unterlagen sind aber nicht überliefert. In Coesfeld war das wertvolle Erinnerungsstück als „Emmerick-Krippe“ allgemein bekannt. Ob die Krippe von Anna-Katharina Emmerick selber gestaltet wurde, ob sie sich in ihrem Besitz befand oder in welchem Zusammenhang sie sonst zu der Kastenkrippe stand, ist unbekannt.

Die 'Emmerick-Krippe' in der Jakobikirche (um 1970).

Im Frühjahr 1945 wurde die Jakobikirche durch Luftangriffe total zerstört. Nur wenige Kunstwerke aus dem Gotteshaus hatte man vorab in Sicherheit gebracht, darunter offenbar auch die Krippe. Jedenfalls wurde sie in den 1950er-Jahren nach dem Neubau der Kirche in der neuen „Emmerick-Kapelle“ wieder aufgestellt. Eine besondere Verehrung oder Beachtung fand sie in dieser Zeit nicht mehr, zumal ja auch der Heiligsprechungsprozess damals für Jahrzehnte unterbrochen war und landläufig bereits als „von Rom abgelehnt“ eingestuft wurde.

Das Geburtshaus der Anna-Katharina Emmerick brannte 1969 und 1976 unter ungeklärten Umständen zweimal nieder, konnte aber wieder aufgebaut werden. Ende der 1970er-Jahre wurde die Inneneinrichtung des Hauses mit Sachspenden aus der Bevölkerung rekonstruiert, um dort eine Erinnerungsstätte einzurichten. Dabei entstand auch die Idee, die Kastenkrippe aus der Jakobikirche zukünftig an diesem Ort zu präsentieren. Das Gehäuse wurde restauriert und die Krippe gereinigt. Seitdem ist sie im Emmerickhaus in Flamschen zu sehen.

Literatur:

Paul Engelmeier: Die Weihnachtskrippe in der Münsterländer Volkskunst. In: Die Weihnachtskrippe 12, Regensburg 1936, S. 22-29.

Franz Krins: Beiträge zur Geschichte der Weihnachtskrippe in Westfalen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 23, 1977, S. 279-301.