Eine Zeitreise: Kinos in der Bundesrepublik 1986 fotografisch in Szene gesetzt von Wolfgang Staiger

11.06.2024 Marcel Brüntrup

Tobias Flümann

Eine umfangreiche Fotoserie ist über Umwege im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums für Westfalen gelandet und gibt Einblicke in eine eigentlich noch gar nicht so weit zurückliegende Vergangenheit. Die mit „Kinos in der Bundesrepublik 1986" übertitelten fotografischen Arbeiten von Wolfgang Staiger (1950 – 2024) zeigen eindrücklich die Vielfalt der Kinolandschaft der 1980er Jahre in Westdeutschland.

Ein Teil der nun online verfügbaren Bilder wurde 1987 im Bordmagazin der Lufthansa AG abgedruckt, die vermutlich die Fotoreportage bei Wolfgang Staiger in Auftrag gegeben hat. Der freie Bildjournalist Steiger aus Essen fotografierte für namenhafte Kunden, beispielsweise für den Stern, die Magazine von Die ZEIT, FAZ und Lufthansa. Sein Studium der Fotografie hatte Staiger in den 1970er Jahren an der Folkwangschule in Essen bei Otto Steinert und Erich vom Endt absolviert. 1981 gründete er dort mit Mark Izikowitz und Michael Wolf die Agentur ANTHRAZIT. Fotografien von Wolfgang Staiger waren in regional wichtigen Ausstellungen und Veröffentlichungen zu sehen wie derjenigen von Ute Eskildsen „Endlich so wie überall?“, die Fotografien und (im gleichnamigen Katalog auch) Texte aus dem Ruhrgebiet versammelte.

Inhaltlich bietet die 136 Farbfotografien umfassende Serie „Kinos in der Bundesrepublik“ von 1986 vielseitige Einblicke in die Kinokultur Ende des 20. Jahrhunderts. Sie war durch innovative Konzepte der Betreiber:innen geprägt, mit denen sie sich gegen das auch damals schon beklagte „Kinosterben" stemmten. Zwar hatte sich von 1956 bis 1986 die Zahl der Kinos in Westdeutschland halbiert, doch die erhalten gebliebenen Kinos verdeutlichen den hohen individuellen Anspruch der Häuser: vom plüschigen, roten Samt bis hin zur golden verspiegelten Decke sind diverse Stilrichtungen vertreten und erlauben einen Einblick in den Zeitgeschmack der 1980er Jahre und in die Bezugspunkte der Gestaltung.

Die Fotografien von Staiger zeigen opulent oder individuell gestaltete Vorführsäle und mehr oder weniger aufgeräumte Technikräume und sie zeigen die Menschen, die den Kinoabend für das Publikum erst möglich machen: die Kartenverkäufer:innen und nicht zuletzt auch die Betreiber:innen und die Filmvorführer:innen, die das Publikum normalerweise nicht zu sehen bekommt. Ein Blick in die Technikräume gibt Einblick in die Bandbreite der 1986 verwendeten analogen Abspieltechnik für Kinofilme. Diverse Fabrikate und Modelle von Projektoren, teils noch aus den 1950er Jahren, automatische Telleranlagen oder manuell betriebene Umrollstationen verdeutlichen den mit der anlogen Filmtechnik verbundenen Aufwand. Eine Rolle mit 35-mm-Film hat etwa eine Länge von 600 Metern, was bei 24 Bildern pro Sekunde eine Spielzeit von etwa 22 Minuten ergibt. Für eine anderthalb oder zweistündige Filmvorführung mussten also vier bis sechs Rollen Film nacheinander abgespielt werden. Und zwar so, dass die Zuschauer keine Unterbrechung bemerkten und die Bilder nahtlos ineinander übergingen. Moderner ging es dann schon in den Kinos zu, bei denen der gesamte Film von 2.000 bis 4.000 Metern zusammengeklebt war und auf überdimensionierten, übereinander angeordneten Filmtellern abgespielt wurde.

Kinos werden in der Bildserie als Orte inszeniert, die je nach Perspektive Arbeitsplatz, Treffpunkt oder Traumfabrik sein konnten und über ihren jeweiligen Standort hinaus eine Brücke zu einer anderen Welt bildeten. Ihr Besuch war für das Publikum ein Highlight im Alltag. Insofern ist es erfreulich, dass der Bestand „Kinos in der Bundesrepublik 1986“ durch Heinz Schulte aus Rheine an das Bild-, Film- und Tonarchiv des LWL-Medienzentrums weitergegeben wurde. Heinz Schulte ist ein engagierter Filmesammler und Filmemacher zur Rheiner Stadtgeschichte und dem Archiv seit vielen Jahren eng verbunden. Er betreibt das "Metropoli - Kino für kleine Leute" und hat die Aufnahmen 2011 als Schenkung von Wolfgang Staiger erhalten und an das Bildarchivarchiv weitergereicht.

Die Sammlung ist einsehbar unter
https://www.lwl.org/marsLWL/de/instance/ko/Slg-Staiger.xhtml?oid=234961317

Literatur

Ulrich Borsdorf, Ute Eskildsen (Hg.): Endlich so wie überall? – Landschaft des Ruhrgebiets (Ausstellungskatalog). Essen 1985.

Zu Besuch bei: Metropoli. Kino für kleine Leute. In: Graugold. Magazin für Alltagskultur, Ausg. 4, 2024, S. 146-147.