„Diebereyen“, „Zügellosigkeiten“ und „schwache Nerven“: Kriegs- und Domänenräte auf Reisen

15.08.2023 Marcel Brüntrup

Darstellung des preußischen Forstbezirks Limberg („Limberger Hagen“), 1792 (LAV NRW W, W 051, Nr. 19670)

Sebastian Schröder

Sommerzeit ist Reisezeit! Und auch die Beamten der Mindener Kriegs- und Domänenkammer reisten umher. Denn eine wichtige Aufgabe der Räte bestand darin, dem Landesherrn, also dem preußischen König, regelmäßig Bericht über den Zustand des Verwaltungssprengels zu erstatten. Ihre Bereisungsprotokolle geben einen guten Eindruck vom Leben und Alltag im Minden-Ravensberger Land, wie nachfolgend exemplarisch ausgeführt werden soll.

Der Preußenkönig besaß in der Grafschaft Ravensberg umfangreiche Eigenbesitzungen, sogenannte Domänen. Dazu gehörten unter anderem Forstbezirke, die die Kriegs- und Domänenkammer beaufsichtigte. Im Herbst 1787 fand eine „Bereisung“ der Forsten“ statt, wobei am 19. September Station im Amt Vlotho gemacht wurde. Dort existierten fünf „Reviere“, wie die Zeitgenossen sagten: die Helle, der Steinberg, der Stuckenberg, der Winterberg und die Ebenöde. Über die Helle erfährt man, dass es sich um einen circa 50 Morgen oder umgerechnet 12,5 Hektar großen Bezirk handelte, der nördlich, östlich und südlich an die Grafschaft Lippe grenzte. Weiter heißt es: „Der Boden ist guterdig mit etwas Leim vermischt und trägt junges Büchen- oder Eichen-Holtz.“ Bislang seien jedoch noch keine Schonungen angelegt worden, weder für Eichensprösslinge, Tannen oder Kiefern, kritisierte der zuständige Beamte. Immerhin: „Über die Dieberey ist aber nicht zu klagen.“

Der Forstdistrikt Steinberg lag direkt an der Weser nördlich der Stadt Vlotho. Aufgrund des steinigen Grundes wachse hier lediglich Buchenunterholz. Als Begründung nannte der Protokollant: „Die schlechte Beschaffenheit dieses Holtzes währet theils von den felsigten Boden her, theils aber auch daher, weil im Siebenjährigen Kriege durch die großen Lieferung[en] an die Französische Armee diese[r] Forst fast gantz ruiniret ist.“ Um die Qualität des Baumbestandes zu verbessern, seien bereits entsprechende Maßnahmen ergriffen worden: Vor ungefähr 30 Jahren, also um 1760, habe man eine Fläche von zwei Morgen oder einem halben Hektar mit Kiefern bepflanzt. Auch eine Eichenschonung diene dazu, junge Heister heranzuziehen, um sie später an anderer Stelle wieder umsetzen zu können.

Große Probleme bereiteten die Forstvergehen im Distrikt Stuckenberg, der an die Stadt Herford grenzte. „Die Dieberey gehet hie sehr im Schwange“, da einerseits zahlreiche Herforder in den Wald strömten und illegal Holz schlugen. Andererseits könne beobachtet werden, wie Soldaten der vor Ort stationierten Garnison Holz raubten. Schonungen existierten im Forstbezirk Stuckenberg nicht, dafür wählte man aber eine andere interessante Form der Nutzung: Der gesamte Bereich war in zehn sogenannte Schläge eingeteilt. Im jährlichen Umlauf entnehme man Stämme ausschließlich aus einem dieser Schläge, sodass der Baumbestand in der Folge ein Jahrzehnt Zeit habe, sich zu erholen.

Die Kriegs- und Domänenräte begutachteten während ihrer Reisen jedoch nicht nur die landesherrlichen Eigenbesitzungen. Auch ganz andere Bereiche, die das Leben der Untertanen betrafen, wurden in den Blick genommen. Vor allem sollten Übelstände oder Probleme aufgedeckt und bestenfalls gelöst werden. Bei der Bereisung des ravensbergischen Amtes Limberg um 1800 machte der Kammerrat Eberhard Friedrich Bacmeister unter anderem halt in Bünde, wo er sich einen Überblick über die amtliche Gerichtsbarkeit verschaffte. Das Justizamt habe seinen Sitz in der Stadt an der Else. Einmal im Monat müsse jedoch ein Gerichtstag im Norden des Amtsbezirks abgehalten werden, nämlich in (Preußisch) Oldendorf. „Dies ist eine äusserst lästige Sache für den Beamten und der Unterthan gewinnt im eigentlichen Verstande nichts dabey, denn derjenige, der eine wichtige Angelegenheit zu besorgen hat, wird doch nach Bünde gehen und beym Amte Nachfrage halten, unnütze Quaerulanten treiben sich doch die Zeit über in der Schencke herum.“ Einen weiteren Missstand bemängelte der Kammerrat: „Dazu komt, daß kein ordentlicher Auffenthalts-Ort für den Beamten zu diesem Behuef vorhanden. Das Gericht hat bisher in einer Schencke [getagt], und wenn die Geschäfte sich vervielfelltiget und die Officianten sich theilen müssen, haben so gar in der Gaststube Termine gehalten werden müssen. Dies kan augenfellig nicht mit der gehörigen Aufmercksamkeit geschehen, nicht zu gedencken, daß die Partheyen bey der nahen Gelegenheit durch starcke Geträncke gar leicht erhizt werden, und oft Händel, auch Zügellosigkeiten entstehen, die der zugegen seiende Beamte schwerlich zu dempfen im Stande ist, ohne sich selbst zu raponiren.“ Folglich wäre es wohl besser, zukünftig ausschließlich Gerichtstage in Bünde abzuhalten, bilanzierte der Kriegs- und Domänenrat Bacmeister.

Kriegs- und Domänenrat Eberhard Friedrich Bacmeister protokollierte im Jahr 1800 nicht nur seine Beobachtungen zum Gesundbrunnen in Bünde, sondern er fertigte auch eine Zeichnung an (LAV NRW W, D 607, Nr. 1973, fol. 92r)

Besonderes Interesse rief bei dem Beamten die Heilquelle in Bünde hervor. Bis 1748 sei der dortigen Quelle kaum Beachtung geschenkt worden. In der Nähe hätte die umliegende Bevölkerung Rötekuhlen angelegt, in denen die hölzernen Bestandteile der Flachspflanze verrotteten, um die wertvollen Fasern zur Leinenherstellung zu gewinnen. Doch dann habe ein „alter Greis Nahmens Dreckschmidt“ den Bünder Magistrat auf die heilende Wirkung der Wasserkuhlen aufmerksam gemacht. Tatsächlich förderte die Stadt die Nutzbarmachung des Gesundbrunnens. Sie ließ die Rötekuhlen mit Erde verfüllen und die Anlieger entschädigen. Zugleich wurden Alleen und ein Brunnenhaus angelegt. Bemühungen, einen Investor für den Bau eines zweiten Gästehauses zu finden, scheiterten allerdings. Bacmeister bedauerte die bisherige Entwicklung, denn: „Das Bünder Waßer ist heilsam gegen schwache Nerven, Atonie und davon herrührenden Zufällen, gegen Gicht.“ Und weiter betonte er: „Dieser Brunnen verdient übrigens mehr in Aufnahme gebracht zu werden, besonders würde es nötig seyn […], dafür [zu] sorge[n], daß Badewannen angeschaft würden, weil deren jetzt nur ein Paar vorhanden seyn sollen.“

Dieser Bericht aus der Feder eines Kriegs- und Domänenrats belegt: Die Beamten reisten nicht aus purer Freude in ihrem Sprengel umher. Ganz im Gegenteil spürten sie Missstände auf und machten Vorschläge, wie sich möglicherweise weitere Einkünfte für die Staatskasse generieren ließen. Und quasi nebenbei erfährt man beim Lesen der Protokolle viel über Leben und Alltag im 18. Jahrhundert.

Quellen:

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 1973: Beschreibung verschiedener ehemaliger Domänenämter, 1751–1804.

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 2787: Bereisung der Forsten der Grafschaft Ravensberg und Reiseprotokolle, 1787–1788.

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

Die Preußen wollen umsatteln: Zugochsen statt Pferde lautete die Devise

Erfindergeist in Minden und Ravensberg

Die Preußische Kriegs- und Domänenkammer und der Kampf gegen Viehseuchen

Bergbau in Bierde? Die Mindener Kriegs- und Domänenkammer und die Steinkohle

Die Glocken schweigen. Oder: „Gewitterableiter“ in preußischen Kammerakten