Dass „es so schnell kommen sollte hat doch keiner geahnt“. Kriegskorrespondenz aus dem Zweiten Weltkrieg

18.02.2025 Niklas Regenbrecht

Feldpost von Antonius Vehlken.

Ulrich Hengemühle

Kriegskorrespondenz ist eine wichtige Quelle für vielerlei Fragestellungen: Sie gibt beispielsweise Auskunft über Formen der Beziehungspflege von Soldaten zu Familienangehörigen und Freunden in der Heimat oder über politische Gesinnungen und die Wirkung von Nationalismus und Militarismus. Und sie ermöglicht es beispielsweise auch, hinter Truppenverbänden und Divisionen einzelne Menschen mit ganz eigenen Motiven zu sehen.

Ein Beispiel dafür ist die Kriegskorrespondenz des am 17. August 1917 geborenen Anton Vehlken aus Klein-Reken. Der 25jährige Anton war zunächst als wachhabender Soldat im Rang eines Obergefreiten bei der Feldkommandantur in Brüssel eingesetzt. Anton korrespondierte von dort mindestens dreimal wöchentlich mit seiner Schwester Anni. Ein Anliegen hat ihn in seinen Briefen sehr beschäftigt: die Möglichkeit, über einen Unteroffizierslehrgang zum Offizier aufzusteigen. Er fühlte sich dazu geeignet, denn: "...ich nehme es mit jedem anderen Uffz. [Kurzform für Unteroffizier] hier auf" (Brief an seine Schwester Anni vom 20.1.1942). Außerdem werde ihm des Öfteren in Vertretung die „große Verantwortung“ für die gesamte Mannschaft übertragen. Das sah er als deutliches Signal, dass ihm auch von übergeordneter Stelle eine militärische Karriere zugetraut wurde. Dabei ging es ihm aber nicht um Macht und Ansehen: "Es geht mir nicht um die Litzen [Rangabzeichen], sondern ums Geld. Ich bekomme als Uffz. über 30 mark [sic!] mehr als wenn ich Obergefr. [Obergefreiter] bleibe".

Am 1.8.1941 hatte er noch an seine Schwester geschrieben, für die Zulassung zu einem Lehrgang müsse er sich 12 Jahre verpflichten: "… dazu habe ich bis jetzt noch keine richtige Lust". Falls er sich jedoch dafür entscheide, erschien ihm die Westfront als vergleichsweise guter Einsatzort: "… aber besser noch in Belgien als in Rußland" (Brief an seine Schwester Anni vom 11.1.1942). Ab dem 14.7.1942 unterschreibt er dann mit Uffz. [Unteroffizier], er hatte sich offenbar entschieden und begann nun mit einer Offizierslaufbahn, die ihm eine Soldsteigerung von 30 Mark einbrachte. Ab dem 7.9.1942 lautete seine Adresse dann Augsburg/Pfersee.  

Im späteren KZ-Außenlager Augsburg-Pfersee waren  ab Oktober 1942 die ersten 500 Männer des Strafbatallions 999 untergebracht. Sie sollten für den Fronteinsatz gedrillt werden und sich (wieder) als "wehrwürdig“ bewähren, um die durch immense Truppenverluste entstandenen Lücken bei den nordafrikanischen Truppen zu schließen. Antons Einsatz als Unteroffizier bei diesem Bataillon ließ vermuten, dass er in Nordafrika eingesetzt werden sollte. Das war eine schlechte Nachricht für die Familie Vehlken, weil bereits bekannt war, dass die Verbände in Nordafrika sehr hohe Verluste verzeichneten. Antons Bruder Albert Vehlken schreibt dazu in einem Brief an seine Schwester Anni vom 26.10.1942: "Aber am schlimmsten von uns Gebrüdern wird es wohl Anton ergehen, wenn er nach Afrika kommt […]. Mag unser Herrgott uns beistehen."

Anton selbst berichtet in einem Brief vom 7.9.1942 aus Augsburg, von dort solle es über München (Ausbildung) nach Italien und dann übers Mittelmeer nach Nordafrika gehen. Er fürchtet sich vor allem vor den zahlreichen Krankheiten in Afrika. Nach wenigen Wochen in Augsburg-Pfersee wurde Anton abkommandiert. Auf Weisung von Hermann Göring die Aufstellung von 20 Luftwaffen-Felddivisionen unter dem Kommando des XIII. Fliegerkorps vom 17. September 1942 betreffend wurde die 7. Luftwaffen-Felddivision, für die Anton Vehlken nun eingeteilt war, noch im September 1942 auf den Truppenübungsplatz Groß-Born südwestlich von Neustettin (polnisch: Borne Sulinowo) am Pielburger See in Hinterpommern verlegt, wo sie mit verschiedenen Flieger-Regimentern der Luftgaue III und IV zusammengeschlossen wurde. Die Offiziere dieser Einheit hatten sich sämtlich freiwillig gemeldet, Unteroffiziere wie Anton Vehlken waren aber einfach abkommandiert worden. Nach einer ausgesprochen kurzen Ausbildung von wenigen Wochen sollte die Division an die Ostfront verlegt werden.

Am 17.11.1942 schreibt Anton an seine Schwester Anni: „Wintersachen für Rußland empfangen, aber gleich wieder abgegeben. Was es gibt, weiß ich auch nicht, wir müssen abwarten".

Dass es definitiv an die Ostfront gehen würde, wusste er vermutlich, als er seine letzte Karte aus Groß-Born an Anni schrieb: "Da ich morgen wieder verlegt werde, will ich dir kurz mitteilen, daß Du mir vorläufig nicht zu schreiben brauchst. Sobald ich meine neue Adresse weiß, gebe ich dir gleich Bescheid. Es grüßt dich sehr herzlich dein Bruder Anton." (30.11.1942)

Die Luftwaffen Felddivision, für die Anton Vehlken eingeteilt war, wurde noch im November 1942 in den Raum Smolensk verlegt, wo der Unteroffizier Anton Vehlken nur wenige Wochen später getötet wurde. Laut Totenzettel fand er am zweiten Weihnachtstag 1942 „fern von seinen Lieben […] den Heldentod fürs Vaterland“.

Wo genau Anton gestorben war, erfuhren seine Geschwister nicht. Wie so vielen Menschen in Europa blieb ihnen kein Grab, an dem sie trauern konnten.

Totenzettel von Antonius Vehlken, Heimatarchiv Reken.

Sein Bruder Heinrich schreibt dazu im Februar 1943: „Somit ist das eingetroffen, was ich im tiefsten Herzen gebangt habe als ich hörte, daß er beim Luftwaffenstoßtrupp gekommen war. Ich kann mir noch gar nicht begreifen, daß er die geliebte Heimat nicht wiedersehen soll" (Heinrich an seine Schwester Anni, 5.2.1943)

Am 8.3.43 schreibt Bruder Albert seiner Schwester Anni: "Ich war sehr besorgt um Anton als ich hörte, das [sic!] er bei der Luftwaffen Felddivision kam. Aber das [sic!] es so schnell kommen sollte hat doch keiner geahnt. Ja liebe Schwester, der Krieg ist hart und hat schon manches Opfer gefordert.“

Offenbar fiel Anni Vehlken wegen des Todes ihres Bruders in wochenlange tiefe Trauer. Am 8.5.1943 schreibt ihr Bruder Heinrich, es tue ihm leid, "daß du dich über den Verlust unseres Bruders immer noch nicht beruhigen kannst [...]. Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als uns in das Unvermeidliche zu fügen.“

Wo genau Anton gestorben war, erfuhren seine Geschwister nicht. Wie so vielen Menschen in Europa blieb ihnen kein Grab, an dem sie trauern konnten