Ladberger Torfbier

21.05.2024 Marcel Brüntrup

Christof Spannhoff

Der Begriff klingt auf das erste Hören wie der Name eines norddeutschen, regional begrenzten, dunklen Gerstensaftes: Torfbier. Doch handelt es sich bei diesem weniger um ein alkoholisches Getränk als um die Benennung eines jährlichen Festessens, das im münsterländischen Heidedorf Ladbergen (heute Kreis Steinfurt) abgehalten wurde. Und zwar ist unter Torfbier ein geselliges Beisammensein zu verstehen, bei dem der Ladberger Pfarrer diejenigen Gemeindemitglieder einmal jährlich bewirtete, die ihn mit Torf als Brennstoff versorgt hatten. „Es war für die Ladberger Bauern ein großer Festtag, sich auf Kosten des Pfarrers einmal gütlich zu tun.“ Das berichtet der Ladberger Chronist Friedrich Schoppenhorst (1848–1918). Diese Gewohnheit führt also in eine Zeit zurück, als die Geistlichen noch kein festes Salär bezogen, sondern auf die Abgaben der Gemeindemitglieder angewiesen waren. Erst in den 1890er Jahren wurde in Preußen das traditionelle dezentrale Pfründensystem durch eine einheitliche zentrale kirchliche Besoldung abgelöst. Der Name Bier ist dabei schlichtweg die Bezeichnung für eine Festivität gewesen. So gab es etwa Gildebiere (als Feiern der Gilden und Bauerschaften), Kindbiere (Taufen) oder Kranzbiere (Kränzen). Das bei diesen Feierlichkeiten genossene Getränk, das Bier, wurde zum Synonym für das Fest selbst. Das Trinken war ein Hauptbestandteil dieser Feste, bei denen kräftig dem Alkohol zugesprochen und entsprechend ausgelassen gefeiert wurde. Deswegen waren sie seit dem 17. sowie verstärkt im 18. und 19. Jahrhundert auch der Obrigkeit ein Dorn im Auge, die versuchte, diese Veranstaltungen zu dezimieren.

Grüne Stangenbohnen waren Grundlage des Eintopfes, den es zum Ladberger Torfbier gab. Sie wurden im Garten kultiviert und im Juli/August geerntet. (Foto: Alltagskulturarchiv, Inv. Nr. 1992.01802).

Im evangelischen Pfarrhaus in Ladbergen wurde daher nicht hemmungslos gezecht. Das Bier wurde vielmehr in einer Suppe gereicht: „Auf dem offenen Feuer in der Küche brodelten zwei riesig große Töpfe. In dem ersten kochte die Biersuppe, das sogenannte ‚Warm Beer‘. Die Zubereitung kannte damals jede Hausfrau. Es war ein gutes, schmackhaftes Essen wie man es heute so nicht mehr hat. Es bestand aus einer Milchsuppe mit reichlichem Zusatz von Bier, versüßt durch Honig und Einrührung von Buchweizenmehl, daß sie sämig wurde. Eingebröckelt wurde[n] zerbröckelte Knabbeln.“ Unter letzteren versteht man getrocknetes Weißbrot. Die Biersuppe war aber nur die Vorspeise. Das Hauptgericht bestand aus dem sogenannten Vietsbohnenessen. Dafür musste eine große Menge an Stangenbohnen schon einige Tage vor dem Fest besorgt werden, sofern der Pfarrer nicht ausreichend im eigenen Garten gezogen hatte. „Von den reifen, trocknen Stangenbohnen wurde ein großer Topf voll mit der Zugabe des nötigen Salzes gar gekocht und in eine Schüssel gefüllt. Dann wurde reichlich Speck in kleine Würfel geschnitten und in einer Pfanne mit etwas Mehlzugabe gut ausgebraten. Die Sauce wurde über die Bohnen gegossen und mit diesen kräftig vermengt. Diese kräftige Speise wurde dann mit hölzernen Löffeln aus der Schüssel gegessen.“ Dazu wurde Bauernstuten, also Weißbrot, gereicht, von dem zuvor einige Laibe gebacken worden waren. In der Küche oder Diele des Pfarrhauses wurden lange Tische aufgestellt, die ein Tischtuch erhielten. Auf den Tischen standen die großen hölzernen Schüsseln. Für jeden Gast wurde ein hölzerner Löffel eingedeckt.

„Man aß zu viert oder zu sechst aus einer Schüssel.“ Der Pfarrer nahm am Ende des Tisches Platz und bildete den sogenannten Vorsitz. Er sprach das Tischgebet. Rechts und links von ihm saßen die Bauerngrößen aus der Gemeinde, wodurch die örtliche Hierarchie abgebildet wurde. „Beim Essen wurde eine gemütliche, zwanglose Unterhaltung gepflogen, gewöhnlich in echt Ladberger Platt. Nach dem Essen steckte sich jeder sein Pfeifchen an und die blieben noch ein Weilchen zusammen, bis einer nach dem anderen sich bis zum nächsten Jahr verabschiedete. Ein Gutes hatte solch ein Festessen, nämlich der Pfarrer kam in engere Fühlung mit den ersten Mitgliedern seiner Gemeinde“, urteilte der Chronist Schoppenhorst, dem wir den Bericht über diese jährliche Zusammenkunft verdanken, die mit dem Aufhören der Torfabgaben an den Pfarrer gänzlich verschwunden und in Vergessenheit geraten ist.

Quelle:

Die Chronik des Friedrich Schoppenhorst. Über sein Leben und das, was im 19. Jahrhundert in Ladbergen geschah, bearb. v. Martin Schoppenhorst, Ladbergen 2010.

Literatur:

Oliver Janz, Protestantische Pfarrer vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Deutschland und England im Vergleich, in: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 8 (1998), S. 83–111.