Leben hinter Wall und Graben
Andreas Eiynck
Mit dem Einsatz des Schießpulvers für Kriegswaffen entstand im 16. Jahrhundert ein neuer Städtetyp: die Festungsstadt. Eine Burg und eine Stadt wurden hier von einem gemeinsamen Festungsgürtel umschlossen. Das Leben war gekennzeichnet durch eine enge Nachbarschaft von Zivilbevölkerung und Militär. In Friedenszeiten war dies für die Bevölkerung durchaus profitabel, doch bei Belagerungen waren die Zivilisten unmittelbar in die Kampfhandlungen einbezogen.
Dies zeigt die Ausstellung „Leben hinter Wall und Graben“ am Beispiel der Festungsstädte Coevorden und Lingen noch bis zum 13. Oktober im Emslandmuseum.
Viele Traditionen in beiden Städten erinnern an die einstige Festungszeit. Hierzu zählen nicht nur Baudenkmäler und archäologische Funde, sondern etwa auch Straßennamen wie Burgstraße oder Am Pulverturm, Wall, Dwinger, Arsenaal oder Revalin. Traditionsvereine insbesondere aus dem Schützenwesen führen stolz die Namen örtlicher Feldherrn und Potentaten. Sie werden, je nach Sichtweise, vor allem als Sieger und Befreier dargestellt. Immerhin: diese Art der Überlieferung hält wie ein lebendiges Geschichtsbuch markante Ereignisse aus der Stadtgeschichte im Bewusstsein. Sie bilden ebenfalls Anknüpfungspunkte für das moderne Re-Enactment historischer Epochen, bei denen bevorzugt Schlachten inszeniert und nachgestellt werden. Sagen und mündliche Überlieferungen zu Belagerungen und der Überrumpelung der Feinde durch Kriegslist fehlen ohnehin in keiner Festungsstadt.
Aus militärischer Tradition heraus entstanden auch die ansonsten eher friedlichen Lingener Kivelinge. Seit 1372 feiern sie den „Bürgersöhne-Aufzug zu Lingen“, der 2018 von der UNESCO in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit eingetragen wurde. Mehrere Mitglieder der Volkskundlichen Kommission für Westfalen waren am Verfahren beteiligt – herzlichen Dank!
- Die Belagerung Lingens durch Maurits von Oranien 1597 (Foto: Emslandmuseum Lingen)
- Garnizoensdag in der Festungsstadt Coevorden (Bildarchiv Stedelijk Museum Coevorden)
- Die Belagerung Lingens durch Spinola 1605 (Foto: Emslandmuseum Lingen)
- Straßennamen in Lingen erinnern an die Festungszeit (Foto: Emslandmuseum Lingen)