„Mehr för Napoleon es för de Prüßen“. Erinnerungen an den Franzosenkaiser im Münsterland

15.10.2021 Dorothee Jahnke

Gemälde Napoleons in der Schlacht bei Waterloo. Aus Emsbüren, jetzt im Emslandmuseum Lingen.

Andreas Eiynck

Viele Sagen, Erzählungen und Döhnekes im Münsterland reichen bis in die „Franzosenzeit“ Anfang des 19. Jahrhunderts zurück, als Napoleons Truppen das Land besetzten und die französische Verwaltung viele Neuerungen einführte, die den Westfalen gar sonderbar erschienen, etwa die Zivilehe, die Fenstersteuer oder die Aufhebung der ständischen Ordnung.

Nur angedichtet wurde Napoleon (und seinem Pferd) die Bezeichnung „Pumpernickel“ für das westfälische Schwarzbrot und auch so mancher „Napoleondamm“ im Münsterland trägt seinen klangvollen Straßennamen zu Unrecht, denn auch die Preußen konnten grade Straßen bauen.

Reichen Nachhall in der Sagenwelt fanden das neue französische Steuersystem und natürlich die Finten, mit denen die Westfalen die französischen Zöllner immer wieder austricksten. Noch lange erschauderte man bei den Berichten über die Aushebung westfälischer Soldaten für die zahlreichen Kriege Napoleons. Doch auch hier gab es Möglichkeiten, den Franzosen zu entrinnen: von der Flucht ins Moor und in die Wälder bis zu vorgetäuschten Krankheiten, mit denen man Napoleons Truppenärzte in die Irre führen konnte. Manche Westfalen wählten auch den raschen Weg in die Ehe, denn glaubt man der Sage, dann blieben verheiratete Männer von der Wehrpflicht verschont.

Gleichwohl sah man in vielen Münsterländer Bauernstuben früher ein Bildnis Napoleons an der Wand hängen. „Ick hebbe ok all es hört, dat vull Löh domaols mehr für Napoleon es für die Prüßen wäßt bünt … Dat kamm dorvan, dat Napoleon de Buern frij makt heww“, hieß es dann zur Erklärung (Ich habe auch schon gehört, dass damals viele Leute mehr für Napoleon als für die Preußen waren. Das kam daher, dass Napoleon die Bauern befreit hat). Und tatsächlich war es ein Dekret des Großherzogtums Berg, eines französischen Vasallenstaates auf westfälischem Boden, das 1808 den Bauern im Münsterland die Befreiung von der jahrhundertealten Leibeigenschaft brachte.

Doch damit verbunden war eben auch die Einführung einer französischen Verwaltung, der Wehrpflicht und eines neuen, effizienten Steuersystems. „Napoleon heww wall de Buern van de Kableers frij makt, män Geld brukte he ok völl“, hieß es dann (Napoleon hat zwar die Bauern vom Adel befreit, aber Geld brauchte er auch viel).

In jenen Jahren zu Beginn des 19. Jahrhunderts tat man gut daran, sich mit der französischen Sprache vertraut zu machen. Das fiel manchem Landbewohner schwer und so lernte man kleine Sätze durch Eselsbrücken auswendig. Den Ruf: „Vive la Roi“ (es lebe der König) merkten sich die Bauern der Überlieferung nach durch ähnlich klingende plattdeutsche Wörter: „Wief“ (= Weib), „Lamp“ (= Lampe), „Rüe“ (= Hund).

Spätestens seit dem Russlandfeldzug Napoleons war es mit der Begeisterung für den Franzosenkaiser im Münsterland vorbei. Nun regte sich heimlicher oder offener Widerstand.

Auf der Inschrift eines Bauernhauses im Tecklenburgischen standen die Initialen: J W B W N. Die ließen sich vielfältig deuten. „Man munkelte allerhand, und als Kuoten Jan einen über den Durst getrunken hatte, plauderte er es aus: Immer wird’s schlimmer, besser wird’s nimmer.“ Ein Franzosengünstling brachte es dem Maire zu. Der musste nun den Fall untersuchen und ließ den Bauern zu sich kommen. Dem saß der Schalk im Nacken. – „Die Inschrift ehrt den Franzosenkaiser. Sie heißt: „Junge, werde so brav wie Napoleon.“ Da hatte er das Recht und die Lacher auf seiner Seite.“

Nach den Niederlagen Napoleons flüchteten die Franzosen schließlich aus dem Lande. An ihre Stelle traten aber neue Schrecken: die Kosaken, die an der Seite der preußischen Truppen die Franzosen aus dem Lande warfen. Außerdem sollten die Soldaten, die schon unter den Franzosen gedient hatten, nun in das preußische Militär eintreten: „Un de bi Napoleon Soldaot wäßt wean, sollen dann naoch bi de Prüßen deenen, un dat poß ehr nicht…“. (Und die die unter Napoleon Soldaten gewesen waren, sollten dann auch noch bei den Preußen dienen. Das passte ihnen gar nicht). Damit machten sich die Preußen in Westfalen auch nicht gerade bliebt. Doch das ist dann schon wieder eine eigene Geschichte.

 

Quellen:
Friedrich Ernst Hunsche und Friedrich Schmedt: Beiträge zur Volkskunde des Tecklenburger Landes. Tecklenburg 1974, S. 116.
Josef Stover: Denn twedden Doaskedagg. In: Der Landkreis Coesfeld 1816-1966. Beiträge zur Geschichte und Landeskunde. Coesfeld 1966, S. 61-63.
Hofchroniken Schulze Epping und Busch sowie Pohlkämper in Laer.

Einer aus einer Serie von sechs Wandtellern mit Darstellungen aus dem Leben Napoleons. Aus Emsbüren, jetzt im Emslandmuseum Lingen.

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