Holzhausen, Heddinghausen und das Milchgesetz vom 31. Juli 1930

14.06.2024 Marcel Brüntrup

Sebastian Schröder

Am 31. Juli 1930 trat das erste deutsche Milchgesetz in Kraft. Es enthielt vor allem Hygienevorschriften zum Umgang mit dem Lebensmittel. Unter anderem regelte es, dass Milch pasteurisiert und nur noch in speziellen Behältnissen transportiert werden sollte. Denn seinerzeit waren weder das Filtern, noch das Pasteurisieren allgemein üblich. Durch Keime konnte es zu Durchfallerkrankungen kommen, die insbesondere für kleinere Kinder mitunter lebensbedrohlich waren. Sofern landwirtschaftliche Höfe Milch veräußern wollten, benötigten sie fortan eine Genehmigung des Landkreises.

Im Jahr 1932 gab es im damaligen Amt Preußisch Oldendorf mit seinen ungefähr knapp 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern insgesamt neun „Milchhandelsbetriebe“, die sich nunmehr nach den neuen gesetzlichen Bestimmungen zu richten hatten. In der Stadtgemeinde Preußisch Oldendorf lebten der Milchhändler Heinrich Janwlecke und der Landwirt Karl Steinmann, in Blasheim der Milchhändler Friedrich Landwehr, in Obermehnen der Landwirt und Milchhändler Wilhelm Schnelle, in Obernfelde der Rittergutsbesitzer Freiherr von der Recke, in Crollage der Rittergutsbesitzer Freiherr von Ledebur, in Holzhausen der Landwirt Heinrich Wessling sowie in Heddinghausen der Milchhändler Ernst Stork und der Landwirt Heinrich Kröger. Im Folgenden soll ein genauerer Blick auf die Milchhandelsbetriebe aus den Gemeinden Holzhausen und Heddinghausen geworfen werden. Dabei wird anhand des amtlichen Schriftguts ersichtlich, auf welche Art sie ihr Gewerbe ausübten und wie seinerzeit der Handel mit Milch in einem weitgehend ländlich geprägten Gebiet vonstattenging.

Zeichnung der Hofstätte Wessling mit Ansicht des Zentrifugenraumes, Stadtarchiv Lübbecke, Stadt Preußisch Oldendorf, B 862.

Heinrich Wessling, der in der Gemeinde Holzhausen als Landwirt die Stätte Nr. 1 bewirtschaftete, erhielt am 19. April 1932 vom Kreis Lübbecke die Erlaubnis „zur Abgabe der in seinem landwirtschaftlichen Betriebe […] gewonnenen Milch außerhalb der landwirtschaftlichen Betriebsstätte unmittelbar an den Verbraucher“. Wessling hatte auf seinem Hof einen Zentrifugenraum eingerichtet, in dem er auch filtrierte. Eine Nachprüfung durch das Amt Preußisch Oldendorf ergab, dass der Landwirt täglich ungefähr 80 Liter Milch seiner eigenen Kühe veräußerte. Die Reinigung der Frischmilch erfolgte bei Wessling mittels „Wattefilter“. Den Transport und Verkauf erledigte er selbst: Er nenne vier 20-Liter- und zwei 10-Liter-Kannen aus verzinntem Material sein Eigen. Diese befördere er mit Pferd und Wagen unmittelbar bis zu seinen Kunden, wobei ein milchverarbeitender Betrieb nicht zu seinen Geschäftspartnern zähle.

Heinrich Kröger filtrierte und kochte die Milch in seiner Küche, Stadtarchiv Lübbecke, Stadt Preußisch Oldendorf, B 862.

Auch Heinrich Kröger, Landwirt in Heddinghausen Nr. 22, verfügte ab dem 19. April 1932 über die Erlaubnis, Milch an zahlende Kundschaft abzugeben. Das von seinen eigenen Kühen gewonnene Erzeugnis filtere und koche er in seiner Küche, erläuterte Kröger. Ihm stattete die Amtsverwaltung ebenfalls einen Kontrollbesuch ab. Dabei erklärte der Landwirt, dass er im Jahr 1932 insgesamt ungefähr 1962 Liter Milch verkauft habe. Mit seinem Handwagen transportiere er eine 20-Liter- und eine 10-Liter-Kanne aus verzinntem Eisen. Weiter heißt es: „Kröger liefert im Winterhalbjahr, November–März, an die Schule Holzhausen-Heddinghausen 18 L[iter] Vollmilch jeden Schultag. Die Milch wird vorher in einem eigens nur dazu bestimmten Emailliergerät abgekocht und warm in die Schule gebracht. Dazu wird nur die Morgenmilch (Morgenmelke) verwandt.“

Wann genau der Rittergutsbesitzer Freiherr von Ledebur zu Crollage die Erlaubnis erhielt, Milch zu verhandeln, ist nicht überliefert. Allerdings musste er ebenfalls eine Kontrolle über sich ergehen lassen. Dabei kam heraus, dass er etwa 100 Liter des Lebensmittels pro Tag verkaufte. Neben Reinigungsvorrichtungen besaß er sogar eine Wasserkühlung, die er aber lediglich im Sommer nutzte. Überdies stellte er Sahne her. Mit Pferd und Wagen sowie acht 20-Liter-Kannen aus verzinntem Eisen ließ der Freiherr die pasteurisierte Milch zu seiner Kundschaft bringen.

Ernst Stork hatte die ehemalige Spülküche seines Landwirtschaftsbetriebs zu einem Milchverarbeitungsraum umgebaut, Stadtarchiv Lübbecke, Stadt Preußisch Oldendorf, B 862.

Weil die Milch nicht in seinem eigenen Betrieb erzeugt wurde und er nur als Verkäufer auftrat, schauten die Behörden bei Ernst Stork aus Heddinghausen Nr. 49 wohl etwas genauer hin. Im April 1932 war der Milchhändler angezeigt worden, er verkaufe Milch in Flaschen. Das sei aber verboten, weil er nicht über entsprechende Abfüllanlagen verfüge. Nachforschungen ergaben, dass Stork tatsächlich etwa 25 bis 30 Liter des Lebensmittels in Flaschen zu seinen Kundinnen und Kunden brachte. Ansonsten nutzte er Kannen. Die Milch zur Abfüllung in Flaschen erhielt er von der Molkerei in Rahden-Kleinendorf, die diese am Vorabend der Auslieferung per Bahn mit einem 30-Liter-Fass nach Holzhausen-Heddinghausen beförderte. „In der in seinem Wohnhause eingerichteten Milchkammer wird sie dann in die bekannten ½ Ltr.-Milchflaschen abgefüllt, die mit einem Pappscheibenverschluß versehen werden.“ Aufgrund dieses Berichts untersagte der Landrat des Kreises Lübbecke den weiteren Verkauf der Flaschenmilch, da gemäß den gesetzlichen Bestimmungen „das Abfüllen der Milch nur in dem Betriebe des Erzeugers oder in den Bearbeitungsstätten (Molkereien pp.) vorgenommen werden“ dürfe. Gleichwohl gestattete der Kreis, dass Ernst Stork seinen „Kleinhandel“ mit Milch in Kannen weiterhin ausübe.

Bis nach Lübbecke belieferte Ernst Stork mit seinem Pferdefuhrwerk, einer 20-Liter- und einer 10-Liter-Kanne seine Kundschaft. Zusätzlich sammelte er morgens bei sechs landwirtschaftlichen Betrieben die „Morgenmilch“ ein. „Die Landwirte besitzen jeder 2 Kannen aus verzinntem Eisen, die über den Tag gewechselt werden und zwar bei der Abholung der vollen Milchkannen an jedem Morgen.“ Täglich veräußere Stork, der dem Milchhändlerverband mit Sitz in Essen angehörte, auf diese Weise etwa 105 Liter des Produkts. Die nicht verkaufte Milch verwerte er im eigenen Haushalt, weil er keinen geeigneten Lagerraum besitze und somit lediglich Morgenmelke in den Handel bringen dürfe. Seine Spülküche diene zum Reinigen der Kannen; zudem reinige er dort Milch mit einem Filter.

Milchhändler Ernst Stork mit seinem Pferdefuhrwerk, Familie Stork, abgedruckt in: 800 Jahre Holzhausen-Heddinghausen, hrsg. von der Vereinsgemeinschaft Holzhausen, Preußisch Oldendorf 2000, S. 394.

Woher kommt die Milch? In Holzhausen und Heddinghausen wäre zu Beginn der 1930er-Jahre wohl niemand auf die Idee gekommen, zu antworten: „Aus dem Supermarkt!“ Ganz im Gegenteil zeugen die vom Amt Preußisch Oldendorf geführten Unterlagen sehr eindrücklich davon, dass das Lebensmittel von wenigen, sehr regional agierenden Milchhändlern an die Kundschaft weitergereicht wurde; ein Großteil der Bevölkerung wird sich allerdings auch selbst versorgt haben, weil viele Menschen selbst eine Kuh besaßen. Gleichwohl existierten neben den Selbstvermarktern auch schon Händler, die Erzeugnisse verschiedener Produzenten aufkauften und weitervermarkteten. Das alles spielte sich wegen der begrenzten Transportmöglichkeiten (Pferd und Wagen) aber noch in einem sehr engen Umfeld ab, sodass man von regionalen Produktions- und Absatzmärkten sprechen kann.

Quelle

Stadtarchiv Lübbecke, Stadt Preußisch Oldendorf, B 862: Acta spec. Ausführung des Milchgesetzes, 1932–1936.