Mit 3 Millionen Mark nach Löhne

20.08.2021 Niklas Regenbrecht

Der Dienstausweis inmitten Tausender Reichsmark weist Ludwig Unnützer als Polizei-Oberinspektor aus. Foto: Sarah Brünger.

Sarah Brünger

Im Oktober 1945 saß Polizeioberwachtmeister Meier aus Löhne-Wittel in seiner Amtsstube und zählte Behördengelder aus Luxemburg. Bargeld, Wertpapiere und Belege ergaben eine unglaubliche Summe von 3.084.814,45 Reichsmark. Die einzelnen Posten listete er pfenniggenau auf, übergab das Geld zur sicheren Verwahrung an die Amtskasse und erstattete Meldung beim Bürgermeister. Danach macht er sich daran, den Mann zu vernehmen, den er mit den 3 Millionen Reichsmark aufgegriffen hatten: Ludwig Unnützer, ebenfalls Polizeibeamter. Die Aussage, die Polizeioberinspektor Unnützer zu Protokoll gab, füllt zwei DINA4 Seiten.

Vor dem Krieg sei er in Koblenz als Polizeiinspektor tätig gewesen. Zum 1.1.1941 habe man ihn jedoch gegen seinen Willen nach Luxemburg abgeordnet, um dort die städtische Polizeiverwaltung zu leiten. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits gut ein halbes Jahr her, dass deutsche Truppen im neutralen Luxemburg einmarschierten. Bewaffneten Widerstand leisteten die Luxemburger kaum, doch viele verweigerten sich hartnäckig den Maßnahmen, die gegen ihre Unabhängigkeit gerichtet waren und sie für den nationalsozialistischen Staat einspannen sollten. Luxemburgische Beamte erschienen Gauleiter Gustav Simon, dem „Chef der Zivilverwaltung Luxemburg“, zu illoyal. Deshalb wurden sie vielfach gegen deutsche Beamte ausgetauscht. Unter ihnen vermutlich auch Ludwig Unnützer.

Ob und inwieweit er an den Verbrechen beteiligt war, die von den Nationalsozialisten an der aufständischen Bevölkerung begangen wurden, ist nicht zu rekonstruieren. Seine Arbeit scheint er im Sinne seiner Vorgesetzten erfüllt zu haben. Im März 1943 wurde er nach eigenen Angaben zum Polizeioberinspektor befördert. Ab August 1944 habe man in Folge der Kriegsentwicklungen seine Behörde mehrfach verlegt – zunächst nach Trier, dann nach Polch bzw. Meyen. Dabei hätte der Stadtkassendirektor Eisenhardt für die Fortzahlung der Gehälter der Beamten einen größeren Geldbetrag mitgeführt. Am 1.12.1944 sei Ludwig Unnützer beauftragt worden, die Kassengeschäfte zu übernehmen. Zuletzt seien er, sowie vier weitere Beamte, die als nicht wehrfähig galten und deshalb nicht eingezogen wurden, in der Dienststelle zurückgeblieben. Sie hätten die durch die Evakuierung Luxemburgs entstandenen Kriegsschäden bearbeitet. Die nächsten Ereignisse folgten nach Ludwig Unnützers Bericht im März 1945 Schlag auf Schlag: Einmarsch der Amerikaner in der Region um Polch, Rückzug nach Limburg an der Lahn, Abbruch des Kontakts zur vorgesetzten Dienstbehörde, dem „Chef der Zivilverwaltung Luxemburg“ und Beschluss zur Weiterfahrt zu seiner Verlobten nach Bad Oeynhausen. Zuletzt folgte die Evakuierung nach Löhne. Dort fanden Ludwig Unnützer und seine Verlobte durch Beziehungen zu einem früheren Dienstmädchen Unterkunft auf dem Hof des Landwirts Beiner in Melbergen Nr. 14. Wie es letztendlich zur Festnahme kam, bleibt unklar.  

Am Ende seines Berichts betont Unnützer noch einmal seine Redlichkeit: Kollegen hätten ihn noch in Polch aufgefordert, das Geld zu teilen und verschwinden zu lassen – er habe abgelehnt. Mehrfach sei es auf der Fahrt nach Bad Oeynhausen zu Bombenangriffen gekommen – unter Zurücklassung seines persönlichen Besitzes habe er immer wieder die Aktenmappe mit den Behördengeldern in Sicherheit gebracht. Nach Einmarsch der Besatzungstruppen sei ihm klar gewesen, dass das Geld bei der Militärregierung abgeliefert werden müsste – er habe nur noch auf genau Bekanntgaben zum Verfahren gewartet.

Entsprach Ludwig Unnützer also dem Idealbild des pflichtbewussten Beamten? Eine Überprüfung der Aussage ist nicht dokumentiert. Über die Kreisverwaltung wurden die sichergestellten Wertpapiere am 22.8.1946 für die Luxemburgische Militärmission an das Britische Hauptquartier in Bad Oeynhausen, Abteilung Kriegsverbrechen, übergeben. Den Empfang quittierten Leutnant Bernard und Leutnant Rippinger. Damit endet der Verwaltungsvorgang, der im Kommunalarchiv Herford überliefert ist.

Folgen scheint die Behördengeldaffäre und die Dienstzeit im nationalsozialistisch besetzten Luxemburg für Unnützer nicht gehabt zu haben. Nachdem er noch einige Zeit in Löhne gelebt hatte, kehrte er 1951 nach Koblenz zurück. Dort konnte Ludwig Unnützer vermutlich in den Verwaltungsdienst zurückkehren und war bei Eintritt in den Ruhestand 1971 anscheinend Leiter der Städtischen Polizei. Er starb am 28.7.1991 in Andernach.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 117, 16.06.2021, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

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