Für die Beteiligten und zeitgenössischen Beobachter mag es überraschend gewesen sein, dass nun auch Wachtmeister der Verkehrspolizei in die weihnachtliche Bescherung einbezogen wurden. Als „Märchen“ ist es ihnen aber wahrscheinlich nicht vorgekommen. Dazu war die Praxis zu verbreitet und zu alltäglich, wenn auch in der Regel auf andere Berufsgruppen (Postboten, Müllwerker usw.) bezogen. Das war ein Relikt aus vergangenen Jahrhunderten als weihnachtliche Gratifikationen für Berufsgruppen wie Nachwächter, Hirten oder Türmer selbstverständlich waren und deren oft geringen Lohn aufbesserten. Es markierte aber auch einen Unterschied gegenüber Berufsgruppen, die das ganze Jahr über regemäßig mit Trinkgeldern rechnen konnten, etwa der Kutscher bei jeder Fahrt.
Die Einbeziehung eines Wachtmeisters der Verkehrspolizei in einen verbreiteten Brauch war allerdings voraussetzungsvoll. Zunächst machten das Datum und der von allen Beteiligten unmittelbar erkannte Weihnachtskontext deutlich, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Trinkgeld handelte, mit dem eine bestimmte Dienstleistung entlohnt wurde. Dass Trinkgelder bei Polizeidienern (anders als bei Handwerkern oder sonstigem Dienstpersonal) inakzeptabel waren, verstand sich nicht von selbst, wie zahlreiche Beispiele aus dem 19. Jahrhundert zeigen. Weihnachtsgeschenk statt Trinkgeld – damit war klar, dass ein Wachtmeister Dienst an der Öffentlichkeit tat und nicht in einem individuell zu entlohnenden, persönlichen Dienstverhältnis (etwa mit Autofahrern) stand.
Die Bescherung wirft auch auf einer weiteren Ebene die Frage der Beziehung zwischen den Beteiligten auf. Denn sowohl in den anthropologischen Theorien der Gabe als auch in der Praxis von Polizeibehörden seit dem 19. Jahrhundert wurde und wird immer wieder betont, dass unterschiedliche Praktiken des Schenkens der Etablierung gegenseitiger Verpflichtungen dienen – und genau das sollte im Verhältnis von Polizei und „Polizierten“ gerade keine Rolle spielen. Wer ein Geschenk annimmt, der verpflichtet sich in dieser Logik zumindest moralisch zu einer Gegengabe. Dadurch entstehen persönliche Beziehungen und Abhängigkeiten. In der Geschichte der Polizei wurde das seitens der Behörden früh in den Kontext von Bestechung und Bestechungsversuchen gerückt. Die Lösung moderner Staaten besteht darin, die Beziehung zwischen Polizei und Bevölkerung in eine indirekte, kollektive und anonyme Beziehung zu verwandeln.