Christiane Cantauw
Bis zum 28. August 2022 ist im RELíGIO, dem westfälischen Museum für religiöse Kultur in Telgte, eine Ausstellung zu sehen, die mit ihrem Titel bewusst auf einen politischen Leitsatz des 20. Jahrhunderts des damaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulf anspielt: „Der Islam gehört zu Deutschland“. Die teils äußerst emotional geführten Diskussionen, die diese Feststellung nach sich zog, haben gezeigt, wie wichtig ein interreligiöser Dialog mit den rund circa 5,5 Millionen Musliminnen und Muslimen in Deutschland ist. Verschiedene kulturelle und politische Anstrengungen sind gerade in den letzten Jahren in dieser Richtung unternommen worden. Auf der anderen Seite steht ein alltäglicher antimuslimischer Rassismus, dem wir auf breiter gesellschaftlicher Basis entgegentreten müssen. Dazu können fundierte Informationen sicherlich beitragen. Ein nicht zu unterschätzender Faktor im interreligiösen Dialog ist aber auch die menschliche Begegnung, die tiefergehendes Verständnis ermöglicht.
Hier setzt die Ausstellung in Telgte an, deren zentrale Idee es ist, dass nicht über Musliminnen und Muslime gesprochen wird, sondern dass sie selbst zu Wort kommen und das Museumspublikum in ihre Welt mitnehmen. Das ist wörtlich gemeint, denn die in der Ausstellung eingesetzten Interviews wurden in den Wohnungen der insgesamt zwölf Gewährspersonen filmisch aufgezeichnet. Die Begegnung mit den Interviewten geschieht in der Ausstellung auf Augenhöhe: Lebensgroße transparente Portraitstelen zeigen im Auftaktraum unterschiedliche Menschen, die eint, dass sie sich zum Islam bekennen. Sie kehren in den einzelnen Ausstellungseinheiten wieder, erläutern dort in Filmsequenzen ihre individuellen religiösen Praxen.
Die Ausstellungsobjekte in den Vitrinen und an den Wänden ergänzen das Gesagte. Sie zeugen von moderner und historischer religiöser Kultur und Alltagspraxis, interkulturellen Verflechtungen und am Ende der Ausstellung auch von der Lebenswelt der Interviewten, die mit einem Objekt aus ihrem Besitz zu einem Musée Sentimental beitrugen.
In den einzelnen Ausstellungseinheiten wird mit Antagonismen gearbeitet, die ein Feld kennzeichnen, in dem das Gezeigte innerreligiös, interreligiös und gesamtgesellschaftlich verortet wird (beispielsweise „Beschneidung. Religiöser Brauch contra Körperverletzung“). Das eröffnet die Möglichkeit Vorurteile, aber auch Konfliktpotenzial ansprechen, auf das die Interviewten eine individuelle alltagspraktische Antwort finden. Dass auf diese Weise Dissonanzen (beispielsweise zwischen der islamischen und der christlich geprägten Bestattungskultur) zugelassen und angesprochen werden, ist eine Stärke der Ausstellung. Nicht immer lassen sich die Dissonanzen auflösen; die Ausstellung zeigt vielmehr, dass sie ausgehalten werden müssen und können.
Die ausstellungstechnisch nicht einfache räumliche Ausgangslage im Museum (langgestreckter Gang im Mitteltrakt) wurde für einen Zeitstrahl genutzt, der im Frühmittelalter beginnt und bis in die Gegenwart fortgeführt wird. Er dokumentiert jenseits einer eurozentrischen Sichtweise bekannte und weniger bekannte, teils auch überraschende Aspekte der vielfältigen Verflechtungen der islamischen Kultur mit Deutschland. Dort erfährt man von Ibrahim Ibn Yaqub, der in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts als Gesandter des Kalifen von Cordoba Mitteleuropa bereiste und dessen Reiseberichte eine wichtige mittelalterliche Quelle darstellen oder von der Bedeutung der Tulpen in der osmanischen Gartenkultur und dass diese Pflanzen bereits 1559 nach Augsburg importiert worden waren. Man kann aber auch von der „Türkenmadonna“ lesen, von der es in der Kirche St. Martin in Kirchsahr (Rheinland-Pfalz) noch ein Exemplar aus dem 17. Jahrhundert gibt. Dieser Typus von Madonnenstatuen zeichnet sich dadurch aus, dass der Gottessohn auf dem Schoß seiner Mutter mit einem abgeschlagenen Türkenkopf gezeigt wird.
Das Büro Dr. Ulrich Hermanns hat mit einer sehr farbenfrohen Ausstellungsgestaltung den richtigen Ton getroffen: Die gewählten Formen und Farben heben die Vielfalt hervor, von der die Ausstellung Zeugnis ablegt. Die Lebenswelten kleben wie Bienenwaben aneinander; sie sind voneinander abgegrenzt, ergänzen sich aber zu einem größeren Ganzen. Das wirkt bunt und fröhlich und erinnert an orientalische Fliesenkunst ebenso wie an das Design der 1970er Jahre.
An der Ausstellung waren (im Ausstellungsteam, im Beirat, bei den Autor:innen der Katalogtexte, als Gewährspersonen und Leihgeber:innen) zahlreiche Muslim:innen beteiligt. Dies dokumentiert einmal mehr, dass hier nicht über Muslim:innen gesprochen werden soll, sondern dass sie für sich selbst sprechen. Daraus erwächst auch die Erkenntnis, dass ihre Identitäten sich nicht ausschließlich über ihren Glauben beschreiben lassen. Das ist eigentlich naheliegend und klingt auch im Titel der Ausstellung an, der die Perspektive der Ausstellung benennt und gleichzeitig den Stellenwert des religiösen Bekenntnisses für die Gläubigen benennt.
Die regionalen Bezüge der Ausstellung sind vielfältig und nicht auf das Münsterland oder Westfalen begrenzt: die Ausstellungsstücke wie beispielsweise Gebetsteppiche, Pilgerkleidung, ein Brautkleid, liturgisches Gerät, Ramadankalender, Grabsteine, Kopfbedeckungen für Beschneidungsfeiern oder eine Konversionsurkunde stammen aus Berlin, Aachen, Köln, Stuttgart, Bonn und teils auch aus dem Relígio-Museum. Sie dokumentieren, den Anspruch, ein überregional wahrnehmbares Museum für religiöse Kultur zu sein, dessen Arbeit sich gegen Ausgrenzung und Vorurteile richtet und auf ein vertieftes und differenziertes Verständnis des Islam hinwirkt.
Nähere Informationen zu den Öffnungszeiten und zur Anfahrt unter www.museum-religio.de