Archivbestände vorgestellt: Reisen früher und heute – Einblicke in den Nachlass Schmidt

15.09.2020 Kathrin Schulte

Sophie Ullrich

Seit jeher verspüren die Menschen Reiselust und machen sich auf, fremde Länder, Kulturen und deren Bräuche zu entdecken, oder sie entspannen sich bei Urlaubsreisen und lassen den eigenen Alltag hinter sich. Dabei gehört das Urlaubmachen längst zur Alltagskultur dazu. Reisen sind für uns heutzutage selbstverständlich und stellen auf Grund der Verfügbarkeit von Internetportalen und Online-Kartendiensten keine besondere Herausforderung mehr da. Doch   noch vor ein paar Jahrzehnten sah die Reisekultur ganz anders aus.

Im Archiv für Alltagskultur in Westfalen, wo Nachlässe ganz normaler Leute aufbewahrt werden, findet sich ein Personenbestand, der eine solche Reisekultur vergangener Jahre dokumentiert. Es handelt sich um den Nachlass von Gerhard Schmidt, der in Lindicken, Kreis Schlonberg in Ostpreußen geboren wurde und in Aachen gestorben ist. Der Nachlass ist etwa 1996 ins Archiv gelangt und wurde von einem Verwandten übermittelt, der auch weitere Informationen über die Person zur Verfügung stellte. So gibt beispielsweise ein Lebenslauf Aufschluss über Gerhard Schmidts Lebenssituation, seine Konfession und seinen beruflichen Werdegang.

Neben persönlichen Informationen finden sich im Nachlass vor allem Reisedokumente zu Gerhard Schmidts unternommenen Urlaubs- und Kurreisen. Gesammelt wurden unter anderem Broschüren, Prospekte, Rechnungen, Karten, Tourismusführer, Hotel- und Reisebürounterlagen. Außerdem wurde jede Reise handschriftlich in Notizbüchern, einer Art Reisetagebuch, dokumentiert. Darüber hinaus vermerkte Gerhard Schmidt in mehreren Haushalts-, bzw. Kontobüchern handschriftlich seine finanziellen Ausgaben und Einnahmen. Der Nachlass besteht insgesamt aus 53 Verzeichnungseinheiten und lässt sich auf die Jahre 1952 bis 1996 datieren, wobei die Reiseunterlagen und die Haushaltsbücher lediglich bis ins Jahr 1984 reichen.

Die von Gerhard Schmidt gesammelten Prospekte zu unterschiedlichen Sehenswürdigkeiten und möglichen Ausflugszielen zeigen, dass die Reiseplanung früher einiger Vorbereitung bedurfte. Man informierte sich in Reisebüros, kaufte sich Reiseführer und schaffte schon vor der Reise einiges an Material an, um sich bestmöglich auf den Aufenthalt vorzubereiten. Und heute? Die Suchfunktion im Internet bietet die Möglichkeit, sich vorab genauestens über den Zielort zu informieren. Es gibt jede Menge Bilder: Von der Unterkunft, der Umgebung, nahe gelegenen Restaurants und deren Speiseangeboten und von Sehenswürdigkeiten, die es lohnt zu besichtigen. Im Prinzip kann somit alles schon im Vorhinein „entdeckt“ werden, man weiß worauf man sich einlässt. Natürlich gilt das nicht für jede Reise, man kann schließlich selbst entscheiden, wie viel man vorher schon erfahren möchte. Trotzdem steht es den Touristen heutzutage weitgehend offen, ihren Urlaub bis ins kleinste Detail zu planen.

Auch die Flexibilität spielt bei Reisen eine große Rolle. Auf unterschiedlichsten Buchungsportalen kann die Reise mittlerweile online geplant und gebucht werden. Damit gestaltet sich die Suche nach einer passenden Unterkunft sehr einfach. Dabei ist die Kommunikation mit den Besitzern von Hotels oder Ferienunterkünften nicht mehr zwingend notwendig. Im vorliegenden Nachlass hingegen sind mehrere Schriftstücke enthalten, die eine Korrespondenz zwischen den jeweiligen Hoteleigentümern und Gerhard Schmidt erkennen lassen. Die Hotels wurden also im Vorhinein sorgfältig ausgewählt. Per Post wurde die Verfügbarkeit der Unterkunft geprüft und diese schließlich auch gebucht. Die in einem sehr höflichen Stil verfassten Briefe lassen erkennen, mit wie viel Aufwand und Vorbereitungszeit eine solche Reise wohl verbunden war.

Straßenkarten und Stadtpläne werden heutzutage nur noch selten eingesetzt, um den richtigen Weg zum erstrebten Urlaubsziel zu finden. Immer mehr Menschen verlassen sich auf Online-Kartendienste, mit deren Hilfe die Orientierung in einem fremden Land erleichtert wird. Das umfangreiche Kartenmaterial aus dem Bestand zeigt hingegen, wie man sich früher zurechtgefunden hat. Die Karten waren unerlässlich, um sich auf der Autobahn oder in fremden Städten den rechten Weg weisen zu lassen. Innerhalb der jüngeren Generationen finden sich indessen heutzutage sicherlich viele, die eine solche Karte gar nicht mehr lesen können.

Der Nachlass von Gerhard Schmidt zeigt, wie der Reisealltag früher aussah. Vor der Kommerzialisierung des Internets im späten 20. Jahrhundert waren die Menschen bei der Planung und Umsetzung ihrer Reisen auf andere Hilfsmittel angewiesen. Der Urlaub musste gründlich geplant, die nötigen Voraussetzungen getroffen werden. Kümmerte man sich vorher nicht um eine entsprechende Unterkunft musste man vor Ort darauf hoffen, dass sich noch ein freies Zimmer fand.

Aus tourismushistorischer Sicht scheint der Bestand besonders interessant zu sein. Themen wie die aufgekommene Reiselust der Deutschen in der Nachkriegszeit oder die Veränderung der Reisekultur hin zum modernen Massentourismus ließen sich anhand dieses Bestandes bearbeiten. Dabei könnte man auf Kategorien wie die ausgewählten Reiseziele, das zur Verfügung stehende Vermögen, das Arbeitszeitverhältnis und die Ost-West-Thematik eingehen, die für Gerhard Schmidts Reisen wohl auch entscheidend waren. Wie sah das Reiseverhalten der Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg und den darauffolgenden Jahrzehnten aus und welche Einflüsse spielten dabei eine Rolle?

Insgesamt erscheint es lohnenswert, einen Blick in diese Zeugnisse vergangener Zeiten und unterschiedlicher Orte zu werfen, schon allein dadurch, weil so die eigene Lust am Reisen geweckt wird!

Personenbestand Schmidt, Gerhard, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, K03119.