Archivbestände vorgestellt: Siekmann, ein "Frauenhaushalt" während und nach dem Zweiten Weltkrieg

08.10.2021 Niklas Regenbrecht

Korrespondenz und Fotographie von Anni Siekmann aus dem Nachlass Siekmann. Foto K. Hüing.

Kathrin Hüing

Wie ein aus zwei Frauen bestehender Haushalt während und nach dem zweiten Weltkrieg den Alltag bestritt, lässt sich anhand der Dokumente der Familie Siekmann nachverfolgen. Anni Siekmann und ihre Mutter Sophia aus Münster hinterließen dem Archiv für Alltagskultur verschiedene Dokumente aus dem Zeitraum von 1905 bis 1955. Ein Großteil der Unterlagen stammt aus den späten 1940er Jahren. Sie beziehen sich auch auf ihren Sohn bzw. Bruder, Hermann Siekmann, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg gedient hatte und 1944 getötet wurde.

Der Bestand umfasst private Korrespondenzen, Beileidskarten zum Tod von Hermann und privatwirtschaftliche Unterlagen des Haushalts sowie ein Foto von Anni Siekmann. Die Dokumente geben anhand von Handwerkerrechnungen, Versicherungsunterlagen oder Steuerbescheiden Aufschluss über die Eigentums- und Lebenssituation der Nachlasserinnen. Briefe von Freunden und Familie an Frau Siekmann dokumentieren soziale Kontakte.

Rechnungen und Lieferscheine aus dem Nachlass Siekmann. Foto: K. Hüing.

Einige der Briefe stammen von Anni Siekmanns Tante Klara Finkelberg und sind an Sophia gerichtet. Sie wurden 1941 und 1942 in Koblenz verfasst und geben Auskunft über die Verfasserin, ihre Familie und ihren Alltag im Krieg. So schreibt Klara 1941 ihrer Schwester vom Lebensmittelmangel:

„Hier ist nichts zu haben. Kartoffeln habe ich noch nicht im Keller, hier sitzen sie teilweise noch in der Erde. Soll sich wundern, ob der Bauer uns noch beliefern darf. Es stand nämlich in der Zeitung, daß  man nicht vom Erzeuger sondern nur über den Handel beziehen darf.“ (Klara Finkelberg an Sophia Siekmann, 07.11.1941, Inv.-Nr. K03123.0003)

Aus dem Brief geht auch hervor, dass Klara ihren Mann Franz pflegte. Die Schreiberin berichtet von einem Fliegeralarm und erzählt, dass sie den Brief bei einem Aufenthalt im Keller schreibt. Auch von ihrer Angst und Hoffnungslosigkeit berichtet sie ihrer Schwester: „Denn Kriege gibt es immer wieder. Noch keine Entwarnung es ist schon 12 Uhr, allmählich fallen mir die Augen zu […] wenn ich nicht so eine Angst […] hätte“ (Klara Finkelberg an Sophia Siekmann, 07.11.1941, Inv.-Nr. K03123.0003).

Rechnungen aus dem Nachlass Siekmann. Foto: K. Hüing.

Die insgesamt 359 Quittungen des Bestands lesen sich wie ein Haushaltsbuch. Dass sie so lange aufbewahrt wurden, ist ein seltener Glücksfall, stellen sie doch aufschlussreiche Belege für das Wirtschaften im Nachkriegsdeutschland dar. Nicht nur in der Kriegszeit, sondern auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit herrschte in Deutschland ein deutlich spürbarer Lebensmittelmangel, dem mit Maßnahmen staatlicher Bewirtschaftung und eines Rationierungssystems begegnet wurde. Am 20. Juni 1948 wurde die Deutsche Mark als neue Währung eingeführt. Im selben Jahr trat auch der Marshallplan der westlichen Besatzungsmächte in Kraft, der den Konsum privater Haushalte in den Vordergrund stellte, um die deutsche Wirtschaft zu fördern. Die Quittungen und Belege der Familie Siekmann aus den Jahren 1949 bis 1953 dokumentieren dementsprechend den Beginn einer allmählichen wirtschaftlichen Erholung in Deutschland, der es den Haushalten zunehmend ermöglichte, Geld für Reparaturen, Haushaltsgeräte, Freizeit (Kino) oder Genussmittel auszugeben. Frauen wurden in der dieser Zeit mehr und mehr auch als Konsumentinnen angesprochen. Auch Sophia und Anni Siekmann leisteten sich zwischen 1949 und 1953 kleinere und größere Haushaltsgeräte, entsprechende Quittungen von Haushaltswarenläden wie beispielsweise „F.A. Ammelounx Haus- und Küchengeräte“ (Inv.-Nr.: K03123.0011) über einen Ofen belegen dies.

Der Bestand bietet mehrere Analyseperspektiven zur finanziellen Situation eines Haushalts, zu Geschlechterrollen und zur Konsumentwicklung in der Nachkriegszeit. Er kann zur Erforschung der Konsumgeschichte in Münster ebenso herangezogen werden wie zur Rekonstruktion des Alltags zweier alleinstehender Frauen im Nachkriegsdeutschland.

 

Personenbestand Siekmann, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, K03123.