Neujahrskuchenbacken. Ein alter Brauch in Nordwestdeutschland

11.01.2022 Niklas Regenbrecht

Neujahrskuchen aus dem Zangeneisen, Ladbergen 2011.

Andreas Eiynck

Auf dem Lande waren die Tage zwischen Weihnachten und Silvester bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die einzigen arbeitsfreien Tage im Jahr, an denen nur dringend notwendige Tätigkeiten verrichtet wurden. Und weil in diese Zeit auch noch die kürzesten Tage und die längsten Nächte des Jahres fallen, vertrieb man sich die langen Winterabende mit dem Backen von Neujahrskuchen am Herdfeuer. Dort befand sich auch der einzige Ort im Haus, an dem es zu dieser Jahreszeit warm und gemütlich war.

Gebacken wurde einst mit langstieligen Zangeneisen über dem offenen Herdfeuer. Dazu benötigte man eine Menge Glut und deshalb wurde das Feuer an den Backtagen so richtig angeheizt. Und Hitze macht durstig, was der Geselligkeit beim Backen nicht abträglich war.

Für das Backen mit den langstieligen Eisen benötigte man einen festeren Teil als bei den heute üblichen elektrischen Eisen. Und weil man die Neujahrskuchen auch gerne an Nachbarn, Freunde und Verwandte verschenkte, verarbeitete man am Backtag große Mengen Teig. Ein altes Rezept, das aus Burgsteinfurt überliefert ist, lautet:

10 Pfund Mehl
4 Pfund Zucker (in 2 Liter Wasser lösen)
1 Pfund Butter
1 Pfund Schmalz (flüssig)
100 Gramm Anis
1/2 Esslöffel Sternanis
100 Gramm Zimt
2 Esslöffel Salz
Vanillezucker

Neujahrskuchenbacken auf dem Hof Lünnemann in Burgsteinfurt-Hollich, um 1930.

Aus dem 19. Jahrhundert wird berichtet, dass damals auf Bauernhöfen im Münsterland an einem Tag auch wohl mal Teig von 30, 40 oder gar 50 Pfund Mehl verbacken wurde. Zucker und Butter kamen noch hinzu.

In die Wangen der Zangeneisen gravierte man Motive ein, vor allem Jahreszahlen, Namen und Initialen. Diese drückten sich als Muster in die Neujahrskuchen. Die Buchstaben waren spiegelverkehrt angebracht, damit sie auf den Kuchen auch lesbar waren. So konnte der Beschenkte erkennen, von wem er die Kuchen bekommen hatte und vergleichen, welche am besten schmeckten.

In katholisch geprägten Regionen wie dem Münsterland oder Emsland waren Kucheneisen mit religiösen Darstellungen beliebt. Ein häufiges Motiv auf ‚katholischen‘ Eisen ist das IHS-Zeichen, das Symbol der Jesuiten und der Gegenreformation. Eigentlich handelt es sich um die griechische Abkürzung für den Namen Jesu, aber populär war die Deutung: Jesus, Heiland, Seligmacher. Das Symbol „Lamm Gottes“ findet sich ebenfalls auf vielen Kucheneisen. Auch Darstellungen der Geburt Christi, der Heiligen Drei Könige und weiterer Heiliger waren auf Kucheneisen in katholischen Gegenden beliebt. Unübersehbar ist dabei der Zusammenhang mit den katholischen Festen in der Advents- und Weihnachtszeit.

Neujahrskuchenbacken am offenen Herdfeuer in Burgsteinfurt-Hollich, 2009.

In den reformierten Gebieten wie den Grafschaften Steinfurt, Tecklenburg und Bentheim kamen Heiligenbilder sowie bildliche Darstellungen aus der Bibel nicht einmal auf einem Kucheneisen in Frage. Hier bevorzugte man Motive aus dem bäuerlichen Leben und längere Inschriften.

Im Münsterland und im Emsland zeigen die Kucheneisen immer eine runde Form. In der Grafschaft Bentheim und in den angrenzenden niederländischen Gebieten sind sie dagegen rechteckig. Wegen der andersartigen Form nennt man die dort gebackenen Eiserkuchen auch wohl Schohsollen (= Schuhsohlen).

Mit dem Ende des offenen Herdfeuers im 19. Jahrhundert ging der Brauch des Backens von Neujahrskuchen keineswegs unter. Zunächst backte man über dem Feuerungsraum der Kochmaschinen und später mit elektrischen Eisen, die man auch in der kleinsten Wohnung noch bequem benutzen kann.

Der Teig hat heute jedoch eine andere Rezeptur als früher und wird flüssiger zubereitet. Ein typisches aktuelles Rezept aus dem Münsterland lautet:

3/4-Liter Wasser, 400 Gramm Kandis, 1 Ei, 500 Gramm Mehl, 2 Päckchen Vanillepulver, 1 Prise Zimt, 200 Gramm Butter oder Margarine. Wasser und Kandis aufkochen und abkühlen lassen. Die übrigen Zutaten anrühren und am folgenden Tag aus dem Teig die Kuchen backen.

Neujahrskucheneisen aus Horstmar-Leer mit der Darstellung Bernhard des Guten von Horstmar von 1695.

Längst ist aus dem alten Brauch eine beliebte Beschäftigung für die Zeit um die Jahreswende geworden. Nicht nur bei Einheimischen, sondern auch bei Zugezogenen. Denn die Neujahrskuchen, Eiserkuchen oder Hörnchen schmecken allen gleichermaßen gut. Oder haben Sie schon mal jemanden gefunden, der bei knusprigen, frischen Hörnchen widerstehen kann?

Alte und neue Rezepte für Neujahrskuchen aus dem Emsland, der Grafschaft Bentheim und den Niederlanden gibt es in einem grenzüberschreitenden Rezeptbuch, das 2019 im Rahmen des EU-Projektes "Grenzkultur" der Emsländischen Landschaft entstand. In dem Buch findet man auch viele Informationen und Bilder zur Geschichte des Neujahrskuchenbackens und der Neujahrskucheneisen.


Literatur:
Thiele, Ernst, Waffeleisen und Waffelgebäcke aus Mitteleuropa. Köln 1959.
Ellen N. Henkel: Wunderbare Waffeln. Kulturgeschichte eines Gebäcks aus dem Waffeleisen. Essen 2003.
Segschneider, Ernst Helmut: Iserkauken, Knedewaffeln und Speckendicken: Neujahrsgebäcke in Nordwestdeutschland. Eine Untersuchung auf der Grundlage des Atlas der deutschen Volkskunde. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 53 (2008), S. 101-138.
Van den Berg, Max; de Hollander, Ineke, Horneman-Ottens, Stefanie und Eiynck, Andreas: Eiserkuchen. Grenzüberschreitende Rezepte. Coevorden, Lingen und Nordhorn 2019.

 

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