„Da nehm ich mal ein paar aufs Korn“. Nikolausbesuche in Vereinen und Betrieben

06.12.2022 Niklas Regenbrecht

Einladungen zur Nikolausfeier, aus: Konvolut Mietze, Archiv für Alltagskultur, K 2032.

Christiane Cantauw

Gute Planung ist alles! Das gilt auch für Firmen- und Vereinsfeierlichkeiten rund um Weihnachten. So war für die Nikolaus- und Weihnachtsfeier der Deutschen Postgewerkschaft in Paderborn am 20. Dezember 1981 unter Programmpunkt 7 vorgesehen: „Der Nikolaus kommt“. Auch eine Handlungsanweisung an alle Anwesenden findet sich unter diesem Punkt in der Einladung: „Dazu singen wir gemeinsam: ‚Nikolaus komm in unser Haus …‘“ Darauf folgte das „Vortragen von Gedichten und Liedern von anwesenden Kindern“.

Ein Nikolausdarsteller als Adressat der Lieder und Gedichte wurde unter Programmpunkt 8 aktiv: Es galt die „Tüten“ zu verteilen. Der Überlieferungszusammenhang legt nahe, dass es sich bei diesem Darsteller um Robert Mietze handelte, der in Paderborn und im Umland mit seiner als Knecht Ruprecht verkleideten Frau auf Nikolaus- und Weihnachtsfeiern auftrat. Herr und Frau Mietze machten das bereits seit 1950 und hatten es in den 1980er Jahren zu einiger, auch überregionaler Bekanntheit gebracht – dies belegt ein Zeitungsbericht im überregionalen Teil der Münsterschen Zeitung. In mehr als drei Jahrzehnten war das Ehepaar auf über 2.000 Nikolaus- und Weihnachtsfeiern in Paderborn und Umgebung aufgetreten. Ein Konvolut aus Zeitungsausschnitten, Briefen, Listen und Gelegenheitsdichtung im Archiv für Alltagskultur dokumentiert diesen Einsatz.

Einladungen zur Nikolausfeier, aus: Konvolut Mietze, Archiv für Alltagskultur, K 2032.

Herr und Frau Mietze waren beileibe nicht die einzigen Nikolaus- und Knecht Ruprecht-Darsteller:innen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ehrenamtlich oder gegen ein geringes Entgelt auf Vereins-, Behörden- oder Betriebsfeiern auftraten. 

Wie bei der oben geschilderten Feier war es stets die wichtigste Aufgabe solcher Nikolausdarsteller, kleinere Geschenke an die Versammelten zu überreichen. Die Verteilung der Gaben war dabei in ein Ritual eingebunden, das der Individualität der Beschenkten nicht über das Geschenk, sondern über den Akt der Überreichung Geltung verschaffte. Die Anwesenden oder auch nur einige ausgewählte Personen einer im Vorfeld definierten repräsentativen Teilgruppe wurden einzeln nach vorn gebeten. Herr Mietze kündigte das in einem einleitenden Gedicht an, das mit den Zeilen endete: „Oh je hier stehn ja über [Zahl] Namen, die übers Jahr zusammenkamen. Da nehm ich mal ein paar aufs Korn und bitte Euch kommt dann zu mir nach vorn.“

Gelegenheitsdichtung für die Nikolausfeier der „Bergziegen“, aus: Konvolut Mietze, Archiv für Alltagskultur, K 2032.

Die Aufgerufenen mussten vor den Nikolaus treten und bekamen ein eigens auf ihre Person zugeschnittenes, nicht selten gereimtes Verslein zu hören, in dem Lob und/oder Kritik geäußert wurde. Hier zwei Beispiele:

Die gereimte Ansage an Anton erfolgte beim „Nikolaus-Kegeln [einer Turnriege] am 4.2.1965:  

Anton, unser Einzelgänger,
ist leider gar kein Frauenfänger.
Mit seinen Worten bringt er Sachen,
dass wir nicht anders können als lachen.
Beim Turnen geht er tüchtig ran, wenn er’s bei Frauen auch so kann,
dann ist er ja ein toller Mann.“

Weniger Erfreuliches war zu hören auf der Weihnachtsfeier für die Belegschaft der Gaststätte Lohmann (1955):

„Und dann steht hier noch einen neuen Koch habt ihr bekommen
Hat sich gegen die Mädchen nicht Freundlich [sic!] benommen
Zum zarten Geschlecht sei lieb und nett
Sonst legen sie dir einen Maikäfer ins Bett
Am andern Tag ist dann in der Presse zu lesen
Bei Lohmanns ist was los gewesen
Aus dem Bette sprang ein Panter
Auf der Bahnhofstraße rannt er“.

Wer auch immer im Betrieb oder im Verein den Einsatz des Nikolaus vorbereitete, hatte die Möglichkeit, über ihn Kritik und Lob an die Adresse der Teilnehmenden loszuwerden. Dazu musste er oder sie im Vorfeld Geschehnisse rund um die zu Lobenden oder zu Tadelnden zusammenstellen, diese entsprechend aufbereiten und so zusammenfassen, dass sie von Herrn Mietze (oder einem anderen Nikolausdarsteller) aus dem „Goldenen Buch“ verlesen werden konnten. „Eine Liste der guten Taten wird Hauptmann Werner Beckers Dir rechtzeitig zukommen lassen“, kündigte beispielsweise K.-H. Vockel in seinem Brief vom 1. November 1981 an Robert Mietze an.

Wenngleich häufiger gute Taten vom Nikolaus belohnt wurden, zeigen die oben angeführten Beispiele, dass die Autor:inn:en der gereimten Verse nicht vor persönlicher Kritik zurückschreckten. Selbst Dienstvorgesetzte blieben nicht von tadelnden Bemerkungen verschont. So leistete laut Münsterscher Zeitung vom 5. Dezember 1981 der Nikolaus mit seinen speziellen Erziehungsmethoden der Gewerkschaft eines Bundesbahnwerkes die erhoffte „Schützenhilfe“: „Weil der Abteilungsleiter regelmäßig jeden Morgen um zehn Minuten zu spät kam, erhielt er vor versammelter Mannschaft eins auf das Hinterteil – und besserte sich.“

Nikolausfeier der VdK, Münster-Nienberge, 1950er Jahre (Foto: Adolf Risse, Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr.: 0000.69725).
Nikolausbesuch im Krankenhaus, Kinderabteilung, Stadtlohn 1952 (Foto: Nikolausgesellschaft Stadtlohn (Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr.: 1991.00515).
Nikolausfeier in der Uni-Klinik, Münster 1950er Jahre (Fotograf unbekannt, Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr.: 1997.01867).
Nikolausfeier im Kindergarten, Havixbeck 1958 (Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr.: 2000.00586).

 

Quellen und Literatur:

PD: Nikolaus‘ Mahnprogramm heute und vor 30 Jahren. In: Münstersche Zeitung, 5.12.1981.

Konvolut Mietze Paderborn, Archiv für Alltagskultur, Sign. K 2032.

Sauermann, Dietmar: Von Advent bis Dreikönige. Weihnachten in Westfalen. Münster/New York 1996.

Schlagworte: Christiane Cantauw · Brauch · Vereine