Pest!

30.09.2019

Totentanzinstallation von Claudia Pomowski (Foto: Christiane Cantauw).

Pest!

Eine Sonderausstellung im LWL-Archäologiemuseum, Herne

Medizinisch-biologisch ist die Pest eine bakterielle Krankheit, die von dem Erreger Yersinia pestis hervorgerufen wird. Durch den Biss eines Flohs, der von einem infizierten Wirtstier (meist Ratten, Murmeltiere oder Eichhörnchen) stammt, können sich Menschen mit der heute meldepflichtigen Krankheit anstecken – ihrerseits aber auch wieder Tiere anstecken. Von Mensch zu Mensch ist außerdem eine Ansteckung mittels Tröpfcheninfektion möglich. Die Pest tritt in den Varianten Lungenpest, Beulenpest oder Pestsepsis auf.

Groß angelegte Schaubilder, aber auch eine präparierte Ratte, ein Pestbakterium, das durchs Mikroskop betrachtet werden kann, und ein Floh begegnen der Besucherin im Eingangsraum zur Pest-Ausstellung. Weiß und grün sind hier die dominierenden Farben. Erst, wenn es im weiteren Verlauf der Ausstellung thematisch zur ersten (von drei) Pandemie(en) geht, tritt der „schwarze Tod“ in dramatischerem Schwarz auf. Ein Animationsfilm im hinteren Teil der Ausstellung (zweite Pandemie) sorgt für eine dieser Dramatik entsprechende akustische Untermalung.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die zweite Pandemie, der im 14. Jahrhundert Millionen von Menschen in Asien und Europa erlagen. Anders als bei der ersten Pandemie, die auf das 6. Jahrhundert datiert (und deren Vorkommen erst kürzlich zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte), liegen aus dem Hochmittelalter zahlreiche schriftliche und materielle Zeugnisse vor, die Vorkehrungen und Hilfsmaßnahmen gegen die Seuche, aber auch den Umgang mit denjenigen veranschaulichen, die für die Krankheit verantwortlich gemacht wurden und denjenigen, die sich infiziert hatten. Bei der Ausstellungseinheit über die individuellen Zeugnisse spielt sogar Westfalen eine Rolle, wenn nämlich die Dortmunder Chronik von Johann Nederhoff (1450) zitiert wird.

Die medizinisch-biologischen Grundlagen der Krankheit werden gleich zu Beginn der Ausstellung erläutert (Foto: Cantauw).

Unabhängig davon, um welche der drei Pandemien es geht, immer wird auch nach gesellschaftlichen Veränderungsprozessen gefragt, die infolge oder im Zusammenhang mit der lebensbedrohenden Seuche zu beobachten waren. Diesen Aspekt nicht aus dem Blick zu verlieren, ist zweifellos eine Stärke der Schau.       

Die Ausstellung verharrt nicht im Hochmittelalter, sondern verdeutlicht auch, dass das Thema Pest keineswegs ein ausschließlich historisches ist. Nach wie vor werden aus vielen Ländern dieser Erde Infektionen mit der Pest gemeldet. Ein fast schon spektakulärer Fall in den USA wird in der Ausstellung mit einem elektrischen Rasenmäher veranschaulicht. Eine Frau dort hatte beim Rasenmähen ein infiziertes Erdhörnchen überfahren und war in der Folge an der Pest erkrankt.

Zu sehen gibt es in der Ausstellung viel: Das Präparat eines sogenannten Rattenkönigs (dabei handelt es sich um miteinander verwachsene Ratten) werden viele BesucherInnen vorher noch nicht gesehen haben und auch die ausgestellten originalen mittelalterlichen Schriften sind durchaus etwas Besonderes. Besonders begeistert hat mich auch ein Grenzstein aus dem englischen Eyan. Er diente den von der Pest Infizierten, die sich zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Krankheit in ihrem Ort eingeschlossen hatten, zum Warenaustausch: Bewohner der umliegenden Ortschaften legten am Grenzstein Waren ab und die Bezahlung der Eingeschlossenen erfolgte durch Münzen, die in einer Essiglösung in die Vertiefungen im Stein gelegt wurden. Sehr viel größer und aus archäologischer Sicht vielleicht spektakulärer ist der Anker des Frachtseglers Grand Saint Antoine, der 1720 mit Waren aus dem Orient in Marseille eintraf. Weil die Quarantänebestimmungen nicht eingehalten wurden, gelangte das Pestbakterium vom Schiff in die Stadt. Tausende von Toten in Marseille und weiteren französischen Städten waren die Folge.

Eine Installation mit zahlreichen nachgebildeten Pestmasken verweist auf die Pest als ein in allen Facetten massenhaftes Phänomen. (Foto: Cantauw)

Optisch wird die Pest im Mittelalter meist mit der sogenannten Schnabelmaske in Verbindung gebracht. Vereinfachte Nachbildungen dieser Maske, die von Ärzten getragen wurde und in deren Schnabel sich Kräuter befanden, finden sich in großer Menge an einer der Ausstellungswände und verweisen auf das Leiden, die verzweifelten Versuche der Behandlung, die Vorbeugungsmaßnahmen und die Erklärungsversuche als Massenphänomene. Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang, dass die Schnabelmaske im Deutschen Reich keine Rolle gespielt hat – ein Umstand, der in der Ausstellung nicht verschwiegen wird.     

Das Zentrum der Ausstellung bildet eine 10 X 4 Meter große Leuchtwand mit einer modernen Totentanz-Installation von Claudia Pomowski. Die Künstlerin nutzt in ihrer Arbeit eine im Kontext der zweiten Pandemie verankerte Darstellungsform, um den danse macabre in die heutige Zeit zu transferieren. Die in schwarz-weiß gehaltene Installation fügt sich mit ihrer dystopischen Bildersprache wunderbar in die Ausstellung ein. Ein großer Gewinn!

Überwiegend gelingt es den Ausstellungsmachern die zeitlichen und inhaltlichen Dimensionen des Themas auszuleuchten. Manches – wie der elektrische Rasenmäher – hat mich eher nicht überzeugt, anderes, wie der Grenzstein oder die Exponate und Erläuterungen zur ersten Pandemie, bei deren Nachweis die Archäogenetik eine wichtige Rolle gespielt hat, halte ich für sehr gelungen.

Der mittelalterliche Grenzstein von Eyan, England, steht für einen historisch eher seltenen Umgang mit einer Pest-Infektion. (Foto: Cantauw)

Informationen zu den verschiedenen Ausstellungseinheiten sind den gut verständlichen und infolge guter Ausleuchtung auch gut zu lesenden Texttafeln zu den einzelnen Ausstellungseinheiten zu entnehmen. Um die Ausstellung daneben nicht mit zahlreichen Objektbeschriftungen zu überfrachten, gibt es für die Besucher Leihkataloge, in denen sich die entsprechenden Informationen geordnet nach an den Objekten angebrachten Nummern leicht finden lassen. Eine, wie ich finde, praktikable Lösung, die den BesucherInnen oftmals schwer leserliche Beschriftungen erspart und für einige zusätzliche Informationen nutzbar ist.

Der Ausstellung gelingt es, viele Facetten der Thematik anschaulich, informativ und spannend darzustellen, ohne einer Sensationsgier zu erliegen, die vor allem der mittelalterlichen Pestepidemie anzuheften scheint. Wer allerdings auf zahlreiche westfälische Bezüge und Quellen gehofft hat, der dürfte enttäuscht sein. In dieser Beziehung mussten sich die AusstellungmacherInnen der ausgesprochen lückenhaften Quellenlage geschlagen geben.

Die Sonderausstellung ist noch bis zum 10. Mai 2020 im LWL-Museum für Archäologie, Europaplatz 1, 44623 Herne zu sehen. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf ein umfangreiches Begleitprogramm und einen gewichtigen Begleitband.